Kapitel 3

 

,,Ich muss schon sagen”, lachte Robert unter einer großen Weißen Eiche und starrte dabei zum blauen Himmel, ,,Planen könnt ihr. Gut, dass ich mich auf euch verlassen kann.” Er zog alles aus, außer das Unterhemd und die Unterhose und ging zum Bach, der gleich an ihm vorbeifloss und spülte seinen Mund aus. Seine Nase war immer noch gebrochen. Er verzerrte sein Gesicht vor Schmerz.

Carl hatte die ganze Nacht den Wagen geführt, er schlief im Wagen, eingewickelt in Decken. Das alte Pferd lag mit angewinkelten Beinen auf dem grünen Rasen vor dem Waldstück. Archi saß auf einem Stein und schaute zu den weitentfernten Tafelbergen im Westen.

,,Das Gemüse muss nach Garbe.”, sagte er zu Robert, ,,Wo ist das?”, ,,Das liegt im Nordwesten. Keine Berge, nur Prärie.” Robert war offensichtlich sehr glücklich, die Stadt hinter sich gelassen zu haben, wie alle anderen auch.

Es duftete nach frischen Blüten von den umliegenden Nussbäumen, der Bach plätscherte. Es war keine einzige Wolke in Sicht. Aber was sollten sie da draußen? Ganz allein. Alle verließen sich auf Robert, doch er wusste auch nicht weiter. Neu anzufangen wäre schwierig – Banditengebiet. James kannte ein Gebiet in seiner alten Heimat, wo Gold gefunden wurde. Er verdrängte diesen Gedanken. Robert lehnte sich keuchend gegen den Baum und atmete auf. James scherzte: ,,Wollen wir deine Nase wieder hinbiegen, was?” Archaniel raffte sich auf und weckte Carl. Dieser öffnete zuerst nur ein Auge. ,,Wir reparieren Roberts Nase.”, sprach er zu ihm. Der Stumme erhob sich unter den Decken.

,,Eigentlich war das nur ein Scherz-” James wollte die Situation noch retten, doch Robert meinte: ,,Ist schon richtig. Ich kann so nicht rumlaufen.” Carl sprang vom Wagen, halbverschlafen und schwankend, aber mit Begierde in den finsteren Augen. Er steuerte auf seinen Chef zu und beugte sich zu seinem Gesicht runter. Archi schloss sich die Augen mit seiner Hand und erzitterte. Carl griff Robert an die lange Nase. Ein Schrei schreckte das Tal auf. Selbst der Geier über ihnen fiel fast vom Himmel. Eine Träne kullerte über Roberts Wange, er lächelte nur. Sein Zinken war wieder gerichtet, wenn auch nicht ganz geheilt. ,,Danke dir, mein Guter.” Für einen kurzen Augenblick fragte er sich, wo Jeff abgeblieben war. Er nannte ihn einen Verräter, weil er abgezogen war. Weg von der Gruppe. Nur er allein wusste, was er in New Orleans wollte.

James vermisste ihn jetzt schon. Es war, als fehlte etwas. Jeff war ein alter Familienfreund, schon vor seiner Geburt. Er zog ihn auf wie sein Opa, wie ein Freund. Als das Dorf überrannt war, half er ihm und Anne zur Stadt zu gelangen. Später verlor er seine Arbeit und landete selbst auf der Straße. Nun war Robert der Älteste und auch der Einzige, der einigermaßen lesen konnte. Er überschüttete sich mit dem Wasser und wälzte sich im Gras wie ein Fohlen. Archi tat es ihm nach. Seine roten Locken waren voller Blätter; er ähnelte einer Waldfee. Die entspannte Stimmung wurde schlagartig unterbrochen. Carl erkannte im Dickicht eine frische Spur von Menschen. Ein Zeichen dafür, dass sie weitermussten. Er setzte das Pferd ins Gespann und sie setzten ihre Reise auf unbekanntem Terrain fort.

Nun waren sie umgeben von Steppe. Das kleine Waldstück verschwand in der Hitze der grellen Sonne. Der Horizont waberte. Der Schweiß lief ihnen von der Stirn. Die Berge schienen sich über sie zu beugen, während das letzte Grün des Tales unter dem verschwommenen Blick dahinglitt. Es war, als hätten sie eine andere Welt betreten, eine Welt ohne eine Wolke am Himmel, ohne Wasser und ohne Essen. Wo war Annes Suppe, wenn man sie brauchte? Archi rauchte eine abgestaubte Zigarette, während seine kurzen Beine am Wagenrand baumelten. Die Kumpels hatten alle ihre Hemden ausgezogen und versteckten sich unter einem aufgespannten Laken vor dem verheerenden Sonnenbrand. Das Gemüse brachte ihnen kaum Energie, es gammelte nur vor sich hin. James fragte sich, was wohl seine Mutter machte. Sie war wahrscheinlich krank vor Sorge. Bogrol hatte bestimmt einen Suchtrupp nach ihnen gesandt um seine zukünftige Frau zu beruhigen. Er wusste aber nicht, dass sie bereits 50 Meilen nördlich waren und Tag für Tag weiter fort fuhren.

James fühlte sich aber nicht schlecht dafür. Früher oder später hätte er eh ausziehen müssen. Eigenständig sein, wie es sich für einen Erwachsenen gehört. Trotzdem dachte er ständig darüber nach, ob es vielleicht falsch war. Er brachte sich in unnötige Gefahr und Sorgen für seine Mutter. Sein Vater Jeremy sagte mal, dass Fehler nicht rückgängig gemacht werden können, man kann sie nur wiedergutmachen. Doch wie soll er diesen Fehler, falls es einer ist, wieder richten? Es war keine gebrochene Nase, es war ein gebrochenes Herz und dafür gab es keine Entschuldigung. Es vergingen vier Tage. Das Wasser ging zur Neige, es wurde heißer. Sein Rachen war ausgetrocknet. Hinter ihnen lag nur ein staubiger Weg und Unmengen an verdorrter Landmasse. Irgendwo hinter ihnen war Horbly Town, eine Kleinstadt voller Leute, die jeden Tag die Wege kreuzen und trotzdem sich nicht um die Probleme anderer schetren. Robert erzählte während der Fahrt ein paar Geschichten über Waldgeister und einen Mann, der einem den Weg zeigen kann, egal wo man ist. Der Mann sei eine Rothaut aus dem Norden, der sich seinen Weg durch die steilsten Gebirge und dunkelsten Wälder bahnte und so weise wurde, dass er dafür sogar gejagt wurde.

 ,,Er weiß alle Antworten auf jede Frage, aber ihn zu finden ist schwierig. Man muss reinen Herzens sein und hoffen.”, sagte er zum Schluss, ,,Das sagte mir mein Vater mal.” Roberts Vater, Roman, war ein Händler aus Mitteleuropa. Deswegen kannte er auch viele Geschichten. Besonders mochte James die Legende von Achilles. Unverwundbar, heldenhaft und doch hatte er seine Schwachstellen. Carl pustete in eine Mundharmonika. Es klang, als würde der Tod persönlich nach ihnen rufen. Alle verstummten.

James legte sich auf den Holzgrund und hörte das verstimmte Klavier in seinem Kopf. Es wurde immer lauter. Alles verschwand um ihn herum und er lag in seinem Bett. War das nur ein Traum gewesen? Er erblickte die Decke, die brüchigen Fensterläden und dann das klapprige Bettgestell. Die Decken umgaben ihn wie Wolken. Er kuschelte sich in eine Decke aus Flausch. Der Duft des Raumes war zart, zu zart für einen Menschenverstand. Ein leuchtendes Weiß umhüllte seinen Körper. Er schwebte. Es fühlte sich wie zu Hause an und doch war dieser Ort ihm fremd. Die abgeschürfte, grüne Tür öffnete sich und ein mystischer Strom aus Licht durchflutete den Raum. Wurden alle armen Jungs auf der Welt zum Himmelsreich begrüßt? War das das Ende?

,,James!”, schrie Archi und schüttelte an ihm, bis er seine Augen aufriss. Die Tür schloss sich und er lag im Wagen, der über die Steppe holperte. Gleich steckte ihm Archi eine Wasserflasche in den Mund und James trank voller Genuss die letzten Milliliter daraus. ,,Das war’s.”, sagte Robert enttäuscht und sauer, ,,Das hätte das Pferd besser gebrauchen können.”, ,,Chef, das hätte für das Pferd nicht mehr gereicht.” Irgendwann, als die Sonne weiter im Westen lag, brach das Tier zusammen. Sie steckten in der Klemme. Während Archi den großen Pferdekopf auf den Beinen hielt und beruhigend streichelte, hielt Carl Ausschau nach einem Dorf, fand aber nur mehr Prärie. Gute Neuigkeiten gab es trotzdem – ein Straßenschild. Nur noch drei Meilen und sie hätten einen belebten Ort mit, hoffentlich, genügend Wasser vor sich stehen. ,,Das schaffen wir nicht.”, keuchte Robert mit gedämpfter Stimme, als wäre sein Ego da draußen gebrochen worden. ,,Doch!”, erwiderte James und packte den Wagen an den Lederriemen, die das Pferd eingespannt hatten. ,,Komm schon, Großer!”, flüsterte Archi in sein Ohr, ,,Steh auf, steh auf! Es ist nicht mehr weit.” James schlug schnell vor: ,,Laden wir etwas ab! Das Gemüse- Die Decken.”, ,,Es wird nichts ausgeladen!”, brüllte Robert und erschreckte dabei das Pferd. Es stand urplötzlich auf und legte die Ohren an, tat aber keinen Schritt nach vorne. ,,Sturer Esel.”, ,,Entschuldigung?”, sagte Archi empört, ,,Er ist nicht viel sturer als du, Chef.” Robert verschränkte die Arme und spitzte die Lippen. Archaniel fuhr sich wild durch die Locken und wischte sich die Augen vom Sand ab. James nahm das also selbst in die Hand.

Er führte den alten Hengst über die Steppe, während Robert und Carl beim Gemüse abwarteten. Archi war bei James und gab dem Tier immer etwas Karotten. Manche davon kaute er. Es klang saftig und genüsslich. Sie selbst hätten diese von schwarzen Flecken überzogenen Möhren nicht mehr schlucken können. Robert lockerte seine Haltung gegenüber dem abstoßenden Zeug und schmiss alles mit großer Freude aus dem Wagen. Das Pferd lief locker weiter. ,,Jetzt haben wir keine Vorräte mehr.”, sagte Robert, als ob er bereute, was er mit dem Gemüse gemacht hatte. Archi schüttelte sofort den Kopf. Niemand wollte nur irgendetwas davon sehen. Der Wagen führ über ein grasigeres Stück Land. An dem Ort gab es auch Wildpferde. Sie trabten mit majestätisch wehenden Mähnen und donnernden Hufen am Weg vorbei. Es ging etwas bergab, wie ein kleiner Hügel. Rechts stand ein winziges, weißes Häuschen, weiter unten eine ganze Reihe an Häusern. Die Jungs blieben stehen und betrachteten das Dorf ohne Namen.

Das Pferd beschleunigte den Schritt und überholte die Jungen, die dann auf den Wagen sprangen. Als sie ankamen, kullerten sie aus der Karre und kraulten zu einem Trog für die angeleinten Pferde. Das Wasser schwappte über ihre Lippen, wenn sie es hastig mit der Hand zu sich holten. Der Kopf glühte, der Magen krampfte, der Daumen zuckte in ungestillter Nervosität. Seine wilden Seher starrten in die verwunderten Gesichter der arbeitenden Menschen. Das Erste was ihm auffiel, war die Kleidung. Während in der Stadt die Frauen in prachtvollen Kleidern wie Blümchen im Frühling aussahen, hatten die im Dorf die gleichen Latzhosen mit geflickten Kniepolstern an wie die Männer, die mit ergrauten, langen Bärten und jeweils einer Pfeife im Mund zu ihnen guckten. Einer wippte in seinem Schaukelstuhl unter der schattigen Überdachung und kicherte. Die anderen Männer setzten ihr Gespräch fort. Der Mann hatte einen langen, schwarzen Schnurrbart, der bis zum Kinn gewachsen war. Er hatte blaue, durchdringende Augen und eine Narbe über dem Rechten. Er trug eine Schürze, Barmann, bestimmt. Als James bemerkte, dass Robert komplett mit dem Kopf eingetaucht war, zog er ihn raus wie einen Fisch an der Angel. Robert war glitschig und rollte seine Lippen zusammen als würde er eine Glasscheibe abknutschen.

,,Alles gut, Kumpel?” Ihm stand der Sonnenbrand im Gesicht. Er nickte und kletterte am Zaun hoch, um sich auf den Beinen halten zu können. ,,Ach, Jungs, Jungs”, krächzte ein alter Mann, der sie an Jeff erinnerte, ,,Jones Gemüse, wa? Steht am Wagen. Ihr seid wohl nicht aus der Gegend, wa?”, ,,Ist es immer so heiß hier?”, wollte Archi wissen und wischte seinen Mund am Hemd ab. ,,Was hast du erwartet?”, witzelte der Mann neben dem Barmann, ein kleinerer, kräftigerer Kerl mit den Pranken eines Tigers. Er war voller Kohlestreifen im Gesicht und an den muskulösen Armen, ,,Wohin geht denn die Reise?”, ,,Weg von Horbly Town.”, knurrte Robert wie ein nasser Hund und spuckte auf den Sandboden. Die Männer lachten wenig beeindruckt von seinem dramatischen Auftritt. ,,Abenteurer, wa? Ganz ohne Wasser ist’s Überleben schwer. Gemüseverkäufer nach Garbe, kaum Erfahrung, wa? Aber die Dinger sind auf dem halben Weg vergammelt.” Der Alte reichte ihnen mehrere Dollarscheine zu. ,,Ich kaufe den Wagen und den alten Gaul da vorne. Ist nicht mehr wert als zehn.” Von dem Geld kauften sie sich einen Batzen Brot und verschlugen sich mit dem Barmann, der sich als Dariel McBray vorstellte.

Der sommerliche Wind trug abgestorbene Büsche mit sich und gelben Staub. Es war warm, aber angenehmer als draußen. Dariel legte Robert einen kalten Lappen auf die Stirn und betrachtete seine Nase. ,,Junge.”, sagte er dann, ,,Ihr habt echt Glück gehabt, dass ihr den Knochen nicht abgerieben habt oder so ähnlich.”, ,,Mediziner sind Sie auch nicht.”, ,,Nein, natürlich nicht.” Er lächelte, was man nur halb sehen konnte wegen seinem komischen Bart, den aber jeder Zweite in Texas hatte. James erinnerte sich an Roth, der auch so einen Bart hatte, und Fire. Von dem hatte Carl das Gewehr geklaut. Robert nahm zwei Shots Whiskey und lauschte den Erzählungen des Barbetreibers. Gold Rush, Erntezeit, Mineneinsturz und eine Handvoll Diamanten, die spurlos verschwunden sind. Eine nahegelegene Explosion hatte drei Menschen das Leben genommen, erzählte er, und seitdem lief es nur noch bergab mit dem Dorf. Der Fluss trocknete aus, der Wald wurde abgeholzt.

,,Die Leute wollen raus. Aber wohin ohne Geld? Sie verkaufen ihr Land. An wen? An die Reichen, die auch das Wasser abgepumpt haben und es uns verkauften. In ein paar Jahren ist das eine einzige Geisterstadt, nicht mal. Eine Ölpump-Anlage.”, ,,Ihr braucht also Arbeiter?”, ,,Sowas von!”, antwortete er gleichtönig und polierte ein weiteres Glas mit einem löchrigen Lappen. ,,Was habt ihr vor, Goldhaar?” Goldhaar war sein Spitzname für James, Wolf für Robert, Stumm-Stumm für Carl und Fox für Archi. Das alles hatte er in Sekunden erfunden und wieder vergessen. James zerrte Robert zur Seite und zischte ihm unter zusammengepressten Zähnen zu: ,,Wir müssen uns ausruhen und das ist die perfekte Möglichkeit noch etwas Geld zu verdienen. Wir finden alle eine Arbeit. Carl kann zum Beispiel in der Mine was machen. Wir könnten uns ihm anschließen.” Roberts Gesichtsausdruck wurde finster. ,,Was ist mit unserem Plan?”, ,,Welcher Plan? Ich mache die Pläne.”, ,,Ich bin der Anführer, schon vergessen?” Mit seiner löchrigen, halblangen Jeans, dem verstaubten Hemd und der einen Gurthälfte, die er über die Schultern gespannt hatte und seinem vernarbten Gesicht sah er so aus, als würden alle seine Pläne nach hinten losgehen. Er machte sich durch das Drama nur lächerlich. Also stimmte er nach kurzer Zeit zu: ,,Ja, du hast recht. Protestieren kann er ja nicht mehr.” Carl fing an zu arbeiten. Die anderen Jungs durften im Hinterhof von Dariels Saloon übernachten. Daraufhin gab er ihnen Arbeit. Zementtransport und Bau. Archi konnte sich nebenbei die Ställe putzen. Ein Traumjob für den jungen Pferdeliebhaber.

,,Zement ist die Zukunft.”, meinte Dariel lautstark, ,,Glaubt mir, bald werden alle Häuser nur noch aus Mauern gebaut werden. Alle Towns werden erneuert werden und dann kommt das alles so voll in Fahrt!”, ,,Und deswegen hast du dreihundert Zementsäcke im Schuppen stehen?”, fragte Archi offen und nippte an seiner braunen Zigarette. Es gab keine Antwort, nur einen Auftrag. Sie mussten Drake wecken, der angeblich ein Spezialist für alles sei. Oberhalb der Bar gab es ein kleines Zimmer. Im Zimmer waren ein beengendes Bett, ein kleiner Schlaftisch und ein Spiegel. Auf dem Bett lag ein schnarchender Mann mit Brille, der mindestens auf vier dieser Betten passen konnte. Er war Dariels depressiver Zwillingsbruder.

Sie lebten seit Geburt an zusammen, gründeten gemeinsam die Bar und kamen alle beide in die gleichen Schwierigkeiten. Nach dem Bürgerkrieg verloren sie ihr Geschäft als Sklavenhändler in New Orleans und flohen nach Texas. Dort wurde das Leben nicht leichter, da die Brüder noch viele Schulden begleichen mussten, noch dazu wurden sie von Räubern verfolgt. In einer Schießerei verlor Drake sein rechtes Bein. Dariel heiratete in der Zwischenzeit und trennte sich wieder. Später erfuhr er von seinem Sohn und tauchte noch weiter ab ins Landleben. Sie landeten beide in Horbly Town, hielten aber wenig vom Stadtleben. So gelangten sie ins Dorf ohne Namen. Sie führten seither ein ruhiges Leben, betrieben aber nebenbei ein paar nicht sehr legale Geschäfte.

Auf dem Tischchen lagen viele Vertragspapiere von einem gewissen “Roth”. Für James war klar, dass es sich um Roth handeln musste, der für Herbert arbeitete. Er sah ihn direkt vor sich: Augenklappe, grau-braune Haare und helle Bartstoppeln. Ein Sadist, wirklich gnadenlos. Robert fürchtete und hasste seinen Namen. Er beschloss ihm vorerst nichts von den Papieren zu erzählen. Er selbst konnte sie ja nicht lesen, aber Dariel schon. Robert bekam sowieso durch Archi etwas mit. Wie kamen denn bloß die Bar-Brüder zu einem Deal mit Roth? ,,Mister Drake!”, schrie Archi schon zum sechsten Mal in sein Ohr, ,,Mister Drake!” Der Mann schnarchte nur noch lauter. Unter seinem Arm kamen zwei Flaschen reinen Alkohols hervor. Drake war anscheinend daran, an einer Alkoholvergiftung zu sterben, überlebte das aber wie durch ein Wunder. Er packte Archi am Hals, raffte sich auf und riss seinen Mund in einer quadratischen Form auf, aus würde er seine Hauer zeigen, die er nicht hatte. Seine Ausstrahlung erinnerte James an Billy.

,,WAS?!”, brüllte er in Archis unschuldiges, rundes Gesicht. James konnte ihn befreien und fragte höflich nach Hilfe für den Zementbau. Drake hörte ihm gar nicht zu, sondern wischte sich seine verschwitzte, rote Stirn mit der Handfläche ab und humpelte die Treppe runter. Er war dick, wirklich dick. Kein Hemd passte auf ihn, deswegen war er auch immer oberkörperfrei unterwegs. Sein Bruder hingegen war ganz der Arbeiter. Schlank, stark und ernst. Hätten sie es nicht besser gewusst, hätten sie sie niemals als Brüder erkannt. ,,Spezialist?”, knurrte Robert, als er Drake sah. ,,Ja, Drake kann wirklich alles, glaub mir.” Dariel war sehr sicher in dem, was er sagte. Drake wippte mit jedem Schritt hin und her. Sein Holzbein trat hart auf den Boden auf und es dröhnte im Raum. Er zischte wie eine wütende Schlange: ,,Was schickst du mir diese Bengel nach oben? Du weißt, wie sehr ich es hasse, gestört zu werden.”, ,,Bruder!”, rief Dariel, als hätte er ihn überhört, ,,Es ist wirklich wundervoll, dass du wieder zu mir kommst. Liebe Güte, hast du zugenommen. Ob du so noch arbeiten kannst-”, ,,Ich arbeite nicht.”, pfauchte der Dicke und seine gelben Zähne klafften aus seinem trockenen Mund, ,,Steven macht das für mich.” Wer war denn bitte Steven? Die Bar-Brüder waren immer noch ein Rätsel. Nach einem Schluck Wasser seufzte Drake und sprach: ,,Worum geht’s?”, ,,Wir sollen Zement verkaufen und verbauen.”, erklärte Archi knapp und strich sich über seinen Hals. ,,Sagt das doch gleich!” Er stand mit einem Zug auf. Er holte einen Eimer Wasser und hopste nach draußen. ,,Seht ihr das Haus da hinten?”, ,,Ja.”, ,,Holt fünf Säcke dahin und mehr Wasser!” Er rannte nach drüben, dabei versank sein Holzbein ständig im Sand. Er musste also hüpfen. Er sah aus wie ein schmelzender Schoko-Weihnachtsmann, den man im Süßigkeitenladen gegenüber Billy and Brother's House kaufen konnte. ,,Tag, Cuger.” Der alte Mann vom Tag vorher blickte hinter der Wand hervor. ,,Tach, Drake.”, ,,Suchst du Mörtel?”, ,,Hast welchen, wa?”, ,,Ich will ihn dir verkaufen.”, ,,Locker.” Der Alte wusch sich schnell seine Hände und wischte sie sich an der Hose ab. James und Robert warfen die ersten Säcke vor die Mauer. Ihr Rücken schmerzte und sie lehnten sich keuchend gegen einen Holzpfosten. Drake brüllte sie an: ,,Aufstehen, ihr Faulpelze! Macht hin!” Er trat James in die Seite und zog ihn zu Cuger. ,,Hab auch Arbeiter. Die Zwei.”, ,,Die kenn ich, wa?”, lachte er, ,,Ihr werdet schön mischen. Wasser und Zement. Los, los! Der Tag ist nicht lang, wa?” Drake zeigte ihnen, ausnahmsweise, wie das funktioniert. Einfach mischen bis grauer Matsch daraus entstand. Cuger verstrich diesen Matsch zwischen den Ziegelsteinen. Drake half mit. Es war ihr erster, und noch lange nicht letzter, Arbeitstag im Dorf. Oberhalb ihrer Köpfe war ein Balkon, zwischen dem die Sonne auf den Arbeitsplatz schien. Schwer atmend trugen die Jungs die Säcke auf die andere Seite, die noch sandiger war. Währenddessen fuhr ein Wagen voller dunkler Holzstämme vor den Saloon. Drake rieb sich die Hände und lachte kurz auf.

Als aber Robert den Wagenführer sah, sprang er hinter die Mauer. Es war Fire. Braune Locken, größer Unterkiefer, der über den Zähnen klemmte, und grasgrüne Augen, die um sich sahen, als würde er verfolgt werden. Um seine Schultern hing aber kein Gewehr mehr. Drake verkündete: ,,Es gibt neue Arbeit, Jungs. Ihr werdet Holz sägen, hobeln und Möbel bauen.”, ,,Jetzt?”, ,,Jetzt.” Auch er kam mit und griff ihnen unter die Arme. Sie sägten jeweils zu zweit mit einer Zugsäge durch die Stämme. James musste die Rinde entfernen und hobeln. Die Sonne prallte in ihren Nacken und irgendwann spannten sie einen Sonnenschutz von einem Haus zum anderen, damit es wenigstens nicht mehr so brannte. Die Luft blieb trotzdem schwül und sie alle schwitzten wie die Schweine. Und am Abend teilte Dariel allen einen Drink aus. ,,Auf unsere Partnerschaft, Jungs!”, jubelte er und schenkte allen einen frisch geöffneten Whiskey ein. Dann schob er ihnen ein Blatt Papier vor die Nase. James schluckte. Es waren so viele Buchstaben darauf. Keiner davon kam ihm bekannt vor. ,,Was das?” Archi war genauso verwirrt. ,,Hiermit verpflichtet Ihr euch, den Betrieben von Jaw und Roth beizutreten. Es kommt Euch eine monatige Zahlung zugute, plus Prämienzahlung bei fortschreitender Arbeit.”, las Robert laut vor und schaute dann zu Dariel, ,,Was soll das?”

Dieser zeigte nur stillschweigend zu einem Schatten an einem einsamen Tisch, am Rande des Saloons. Fire hatte den Hut runtergezogen und die Füße auf dem Tisch, dabei konnte er sie genau beobachten. Langsam schritt er zu den Jungs und winkte ein Glas zu sich. Mit dem Blick auf die Tischplatte und dem Hut über der Nase, murmelte er: ,,In Horbly Town wird nach euch gesucht. 50 Dollar pro Kopf. Einfaches Geld für einen Kopfgeldjäger wir mich, was meint ihr?” Das Blut in James’ Adern gefror zu Eis. Seine Hände zitterten. Er wollte nicht zurück - nicht jetzt. Es gab noch so viel zu sehen als grüne Täler und Tafelberge. Er wollte die Gebirge durchkreuzen, durch Sümpfe stapfen und den Sternenhimmel beobachten, während neben ihm ein Feuerchen knisterte. Hier gab es Freiheit, das Gefühl der Ruhe. Außerdem wartete zuhause ein Haufen Ärger. Und was wäre mit den anderen? Er würde sie für immer verlieren. Ein Glück, dass Carl gerade nicht da war. Er hätte Fire auf der Stelle die Kehle durchgeschnitten und ihnen noch mehr Probleme bereitet. Robert blieb ruhig, aber fuhr sich ständig durch seine schwarzen Haare. Archi rückte näher an ihn, wärmte sich in der Sicherheit seines Chefs, und zündete eine Zigarette an. Wie ironisch von ihm. ,,Du wirst uns nicht zurückbringen.”, antwortete Robert nach einer langen Stille. ,,Was hält mich davon ab?” Fire klang wegen seinem krüppeligen Kiefer sehr durchsichtig, als würde er gerade jemanden nachäffen wollen. ,,Wir arbeiten für Roth. Er ist doch dein Partner, nicht wahr?” Robert unterschrieb für alle Vier und lächelte kurz auf. Ein kleiner Rückschlag für Fire, eine Verpflichtung gegenüber einem Banditen. Fire grinste. ,,Ja, er ist mein Partner. Sehr gut, Rubinski.” Drake knurrte ihm ins Gesicht:

,,Und jetzt geh! Lass die Jungs in Ruhe.” Er legte zwei Dollar ins leere Glas, stand auf, sagte: ,,Auf Wiedersehen, junge Männer.”, verschwand zwischen der Schwingtür und fuhr mit seinem Wagen fort. Drake pfiff: ,,Lasst euch von ihm nicht runterkriegen. Das wahre Böse ist Roth und dieser Dreckskerl von Jaw.”, ,,Die kennen wir zu gut.”, kommentierte Robert und kippte das nächste Gläschen hinunter, ,,Roth hat mir meine Nase gebrochen und mich so lange geprügelt bis ich Blut spuckte. Woher kennt ihr sie eigentlich?”, ,,Auf der Flucht nach Texas überquerten wir ein Gebiet von Jaw. Er stand Wache und nahm uns fest. Er sagte, er würde uns freilassen, wenn wir mit ihm einen Deal eingehen. Wir verkaufen seinen geklauten Scheiß und er lässt uns in Ruhe. Pha, von wegen! Das geht schon mehrere Jahre so und es ist kein Ende in Sicht.”, ,,Aber sein Boss, der Jaw, weiß nichts von dem allem.”, flüsterte Dariel geheimnisvoll, ,,Die Vertragspapiere sind also unsere Möglichkeit, ihn loszuwerden.”, ,,Erpressung?”, ,,Wenn er davon etwas erfährt, dann sind wir dran, habt ihr das verstanden?”, ,,Keine Sorge.”, sagte Archi locker, ,,Er wird nichts erfahren. Nicht von uns.” Drake klopfte ihm lächelnd auf die Schulter. ,,Wie alt bist du, Fox?”, ,,Sieben. Ich werde in zwei Monaten Acht.” Die Bar-Brüder wechselten einen Blick und sagten an, dass sie seinen Geburtstag zusammen feiern würden. Da kam Carl durch die Tür und wurde sofort mit Fragen über seine neue Arbeit bombardiert. Antworten konnte er eher schlecht, aber mit Daumen hoch, runter, Kopfnicken, Schütteln, Zeichensprache, ging das schon klar. So wurden sie in die Dorfgemeinschaft eingeweiht. Danach wurden sie dazu aufgefordert, ihre Sachen auszupacken. James holte seine blaue Decke hervor, seinen Vorrat an Trockenfleisch und drei Silberlöffel. Da sah er noch den Hut seines Vaters und die Papiere, eingewickelt in roter Schleife. ,,Ich habe es für dich eingepackt.”, sagte Archaniel schüchtern, ,,Ich dachte, dass es dich vielleicht etwas an Zuhause erinnert. Zuhause ist doch sowas schönes und du musstest es verlassen.”, ,,Mit euch – bis zum Ende der Welt. Ihr seid mein Zuhause.”

James fühlte sich auf einmal so gut, so geborgen. Er setzte den Hut auf. Sah er jetzt aus, wie ein richtiger Outlaw? Er musste lachen. Er atmete ein und lächelte innerlich. Bestimmt sah er in diesem eher Hut aus wie ein Held, genau wie sein Vater.

Es vergingen zwei Wochen voller Arbeit, aber auch Erfolg. Drake hatte seine Art als Sklavenhalter nicht wirklich abgelegt, deswegen machte er oft Befehle und brüllte. Er musste sich zusammenreißen, nicht zu treten oder mit dem dicken Arm auszuholen. Ansonsten lief es ganz harmonisch, wie man harmonisch definieren konnte. Sie trugen Zementsäcke zur Baustelle, mischten, legten den Mörtel zwischen die Ziegel. Cuger, der alte Wa-Mann, und die Anderen, die das ihr ganzes Leben machten, waren höchst amüsiert von der Tollpatschigkeit des kleinen Archi, aber keineswegs erniedrigten sie ihn. Robert nutzte jede Gelegenheit, um ein Nickerchen zu machen oder abzuhauen. James musste ihn also suchen und manchmal auch wieder zurück schleppen. Mit einem Eimer Wasser wurde er geweckt. Das Gelächter der Dorfleute hallte über die ganze Straße. Jeden Morgen lieferte Fire neuen Zement oder neues Holz. Er musste fortgejagt werden, damit er nicht sesshaft wurde.

Abends bastelten sie alle die Möbel zusammen. Sie hackten, hobelten, fegten die Spehne, jagten Nägel ins Holz und den Hammer auf den Daumen. Diese Möbel verkauften sich in der Gegend wie Heu für Pferde. Ach, wie Archi die Pferde im Dorf liebte. Er kannte jedes einzige, auch, die nur vorübergehend da waren. Stumm-Stumm war eine Begeisterung für die Minenarbeiter. Er schuftete am meisten, mit großer Motivation und Zielstrebigkeit, schließlich bekam er dafür sein Geld. Danach rannte er zum nächsten Schneider, der Schneiderin Jana, und probierte die neueste Jeans an. Sie alle hatten ihren Platz. Sie waren stets willkommen. Ob bei Cugers Abendbrot oder bei Fillis, der Musikerin, die ihm gegenüber wohnte. Fillis hatte ein Klavier, auf dem sie gerne spielte, und sie sang wie ein Engel. Um die Nachbarn zu begeistern, zog sie noch ein rotes Kleid an, was dort nicht üblich war. Solange ihre Schwester Jana in dem Schneiderladen arbeitete, strickte sie in ihrem Schaukelsessel etwas ganz Langes, Rotes. Sie liebte Rot über alles. ,,Musik gehört nicht in mein Heim.”, meckerte Jana, als sie abends nach Hause kam, ,,Wo sind nur deine Nähsachen hin?” Drake behauptete, die Schwestern wuchsen bei unterschiedlichen Eltern auf, weil sie getrennt waren. Der Vater war ein glücklicher, aber sehr armer Musiker, der in Fillis die Liebe zur Musik weckte, während Jana ihrer Mutter im städtischen Modeladen unter die Arme griff. Ganz wichtig für Jana war aber ihr Mann, Mister Smith. Es verging kein Tag, an dem sie ihm nicht ihre Zuneigung ausdrückte. Oftmals luden sie die Jungs ein, damit sie auch etwas von ihnen erfuhren. James zeigte ihr dann seine Tricks und packte die Schriften seines Vaters auf den Tisch der Dame. Und dann versammelten sich alle bei ihr und hörten den Geschichten zu, die nie vollendet seien würden, dachte James.

Es vergingen weitere vier Wochen.

Dariel und Drake erweiterten ihren Schuppen. Die Jungs bekamen ein richtiges Dach über dem Kopf und Gesellschaft. Steven war, wie sich herausstellte, ein schwarzer Junge, der kaum reden konnte und immer einen Strohhut trug, sogar beim Schlafen. Die erste Begegnung war ziemlich unbehaglich, da Robert nicht wusste, was mit dem anzufangen war. Er hatte keine Ahnung von Sklaven und schon gar nicht von welchen in ihrem Alter. Drake musste sie aufklären, dass Steven freiwillig bei ihnen arbeitete, weil sie ihn mitgenommen hatten und ihn schützten. Steven, der schwarze Engel, so nannten sie ihn. Er und Carl verstanden sich bestens. Archi und James suchten immer seine Nähe, denn der Junge hatte eine sehr positive Ausstrahlung und wusste sehr viel. Er kannte jeden im Dorf, auch ihre dunkelsten Geheimnisse. Wie? Er war Steven. Er konnte in wenigen Tagen so viele Informationen aufnehmen, was die Bar-Brüder in mehreren Jahren nicht machen konnten. Ein großartiger Spion; unschuldig und fleißig. Robert mied ihn aber.

Er war nicht begeistert von dem neuen Kompagnon innerhalb seiner Gruppe und versuchte ständig, seine Stärke zu demonstrieren. Nur ein-zwei Schlückchen Whiskey brachten ihn zur Ruhe. Manchmal verbrachte James den Abend damit, das Dorf zu zeichnen. Als Karte oder eine Planierung. Archi hatte sich oft verlaufen, zu oft für die zehn Häuschen. Dariel hielt jeden Abend eine Lehre ab, wie man sich zu verhalten hatte. Dazu gehörte, zu Archis Bedauern, Stehl-Verbot. Doch, wie James mitbekam, verschwanden trotzdem ein paar Uhren und der ein oder andere Schlüsselanhänger. Steven wurde dazu aufgefordert, nichts von ihren alten Angewohnheiten zu erzählen. ,,Ich sagen nein.”, versprach er und ihm wurde eine Runde Prügel erspart. Dariel und Drake kümmerten sich gut um sie. Alle bekamen eine Möglichkeit, ein normales Leben zu führen. ,,Ich will auch heiraten.”, sagte Archi begeistert, ,,Genau wie du, Onkel Dariel.”, ,,Ja, lass dich aber nicht scheiden.” Wenn es etwas einsam wurde, pustete Carl in seine Mundharmonika und Steven holte sein Banjo raus. Wäre Robert nicht so mies gegenüber ihm eingestellt, hätte er die eigenartig schöne Musik genießen können wie alle anderen auch. Ständig verließ er die Gruppe, versteckte sich auf Fillis’ Dach oder lief raus und beobachtete die Wildpferde mit dem Fernglas von Cuger. ,,Was für tolle Mähren.”, sagte Archaniel sich den Wind durch die Locken streifend. ,,Nichts als alte Klepper.”, foppte Robert-Wolf, auch wenn er genau wusste, was für majestätische Wesen es waren. Zu nahe kamen sie ihnen nie. Mister Smith jedoch schon. Er war ein guter Freund von Cuger, der Minenarbeiter mit den großen Händen.

Er war ein konfliktscheuer Kerl mit einer Vorliebe für neue Dinge. Er wechselte ständig seine Hemden und kaufte sich immer welche. Er hatte eine Hündin, die er über alles liebte, auch wenn sie nicht wirklich schön aussah. Smitti reiste nach der harten Arbeit durch die Prärie, schwang sein Lasso, damit er ein Pferd zu fassen bekam, doch nichts funktionierte. Seine Hände waren für Steineschlagen, nicht für das Pferdefangen, gedacht. Enttäuscht riegelte er sich in seinem Haus ein. Das machte er immer, wenn ihm etwas nicht gefiel. Gut, dass Jana für ihn sorgen konnte, sonst verfiele er seinen melancholischen Gedanken. Cuger selbst bezeichnete ihn als “einen einzigen Brocken aus Tränen”. Der alte Mann mochte die Fünf. Die Arbeit, die Verbindung. Ein guter Arbeitgeber, musste man zugeben, immer für einen Scherz bereit und für eine großzügige Zahlung. Und dann nahte ein ganz besonderer Tag. Archis Geburtstag.

Sein Achter. Für alle Jungs war dieser Tag wie Weihnachten, weil die McBray-Brüder mit ihnen Kuchen backen wollten und neue Gerichte ausprobierten. James und Dariel waren in wenigen Minuten Chefköche geworden. Sie zauberten magische Suppen, die definitiv besser waren als von Anne, und einen wunderschönen Kuchen auf den Tisch. Ein prachtvolles Exemplar von Kuchen. Süßer Zuckerguss über zehn Schichten weichen Tortenbodens, geschmückt mit roten Rosen aus Marzipan, der sehr schwer zu kriegen war. ,,Alles Gute zum Geburtstag, Archi!”, rief Fillis und übergab ihm einen gestrickten Schal. Auch Mister Smith, war dabei und schenkte ihm nicht nur eine, nein, zwei Premiumzigaretten-Packen. ,,Nur nicht zu viel rauchen, sonst bleibst du so klein.”, warnte er und wuschelte ihm mit seiner gigantischen Hand durch die roten Locken, ,,Und du hast ja so viel zu wachsen.” Drake klatschte laut in die Hände und teilte jedem ein Stück Kuchen aus. Aber wo war der alte Cuger? Er tauchte den ganzen Tag nicht auf. Kein großes Thema, bis jemand auftauchte, dessen Anwesenheit nicht wirklich angenehm war.

Nach dem Kaffeekränzchen verließen die Burschen das Gebäude und verzogen sich in den Schatten des Hinterhofes. Die letzte Frühherbst-Hitze machte es ihnen zu schaffen. Die Sonne prallte auf den vertrockneten Boden, die höhen Zäune zwischen den Grundstücken schützten vor ihren heißen Armen. In der Schubkarre erholte sich Robert.

,,Ein freier Tag.”, seufzte er, ,,Nach zwei Monaten. Ist ja wie Sklaverei.”, ,,Du hast am wenigsten gearbeitet.”, behauptete James den Schuppen fegend. Das Wasser im Trog für ihr Pferd, welches sie von Horbly Town dorthin gebracht hatte, war verdunstet. Carl klopfte sich mit einem nassen Lappen auf die rote Brust. Seine Haare waren wieder sauber und er zeigte zum ersten Mal seit einem Jahr ein Zeichen eines Lächelns. ,,Acht Jahre bin ich schon alt.”, prahlte Archi, ,,Und trotzdem bin ich wunschlos glücklich.” Robert sagte in Gedanken versunken: ,,Warte nur ab. Es gibt immer etwas im Leben, was nicht passt.” Plötzlich trat eine in einen Staubmantel gehüllte Persönlichkeit auf, die eine Augenklappe trug und die Hände an den Holstern hielt. Robert zischte mit einem gewaltigen Tempo hinter den Holzhaufen, Carl griff nach seinem geklauten Gewehr und Archi versteckte sich hinter James. ,,Ei, ei, ei.”, sagte der hohe Mann, ,,Ich bin auch sehr erfreut, euch zu sehen.”, ,,Hallo, Roth.”, begrüßte ihn James so standhaft wie er konnte und ihm schoss sofort die Erinnerung durch den Kopf, wie dieser Mann Carl vor Herberts Füße schleifte und wie er durch die Gegend schoss, als wäre er von Dämonen besessen.

Stille legte sich im Hof. ,,Wo ist Herbert?”, war James’ erste Frage. Er unterdrückte seine bebende Stimme. ,,Welcher Herbert?”, prustete Roth mit seinem rauen Ton, ,,Ah, der Herbert! Er ist... nicht hier.”, ,,Und was machst du dann... hier?” Er schleichte umher, mit den Augen in der Gegend suchend. ,,Nur um das klarzustellen”, sprach er, langsam und kühl, ,,Ich bin nicht sein Bediensteter. Ich habe sehr wohl mein Recht auf Eigenständigkeit.”, ,,Du arbeitest mit ihm.”, pfauchte Robert und reckte seinen Hals hinter dem Holz hervor. ,,Ja, aber es ist nicht sein Holz, aus dem ihr Möbel baut und auch nicht sein Zement, den ihr mischt. Es ist alles meins. Und ihr seid meine Arbeiter!”

Er setzte sich auf einen Klotz, wischte mit den Fingern über den Kuchen und leckte sie genussvoll ab. ,,Lasst uns einfach feiern. Der kleine Racker hat doch Geburtstag, nicht wahr?” Er quetschte Archis linke Backe und biss die Zähne zusammen, als wollte er einen bösartigen Wutausbruch unterdrücken. So vornehm sah er aber nicht aus mit seinem spärlich gestutzten Bart, seiner unreinen Haut und der abgewälzten Kleidung unter dem Mantel. ,,Lasst uns für diesen Tag mal alles vergessen, was war.”, ,,Du hast mir meine Nase gebrochen.”, tadelte Robert verhasst schauend. ,,Und ich werde es wieder tun, wenn ihr nicht das tut, was ich euch sage.”, zischte der Gesetzlose und hielt ihm einen Kopfgeldzettel vor die lange Nase. ,,Ich habe ein gutes Angebot für euch.”, ,,Wir verhandeln nicht mit Jaws Männern.”, ,,Oh doch, das werdet ihr... Das werdet ihr.” Er stand auf und stolzierte wie ein Tiger in schwarzen Stiefeln umher. ,,Erinnert ihr euch noch an Fire? Natürlich tut ihr das. Er ist mein Partner und ein ausgezeichneter Kopfgeldjäger. Kein Ziel entkommt ihm, außer er weiß nicht, dass es überhaupt ein Ziel gibt.”

Er grinste. ,,Dieser Kerl, Mister Cuger, wird gesucht. 1.000 Dollar. Ein ganz neuer Fall, Fire weiß also noch nichts davon. Und ich will, dass ihr ihn vor ihm findet. Klar soweit?” James nickte für Robert, der wie erstarrt auf der Stelle stand. ,,Ei, ei. Bringt den Kerl zu mir. Und kein Gesetzeshüter und kein Fire wird von dieser Sache erfahren.”, ,,Und was springt für uns raus?”, fragte Robert plötzlich. ,,Das Doppelte des Kopfgeldes. Zwei. Tausend. Dollar.” Das war der reine Wahnsinn. Das war mehr, als sie sich jemals vorstellen konnten. James blickte erwartungsvoll zu Robert. Hier ging es um viel Geld, doch gleichzeitig auch um ihre Ehre. So oder so, es war eher eine Drohung als ein Geschäft. Wolf erwiderte seinen Blick und antwortete zuversichtlich: ,,Wir werden darüber nachdenken.”, ,,Gut. Denkt nicht zu lange nach. Bald kommt prominenter Besuch und ich will den Laden geräumt haben. Alles Gute zum Geburtstag, Fox.” Da war er wieder weg und eine stille Panik breitete sich in der Gruppe aus.