Zwei kleine Götter auf einem Schiff

Das Schiff wippte mit jeder noch so kleinen Welle. Das Meer war hellblau und so unendlich weit. Und wenn man sich anstrengte, in der Ferne etwas zu erkennen, so stellte man sich eine große Stadt vor. Wie Lavaredìnia oder halt Nonngard. Donnerhau stand am Bug und ließ den Wind durch seinen langsam grau werdenden Bart streichen. 

,,Über Wellen hinaus. Den Himmel zum Greifen nah. Das ist, wenn ich auf einem Schiff fahr'.", murmelte er nachdenklich. ,,Diese Worte sind sehr simpel, aber es trifft zu.", fügte Dittmad, der Kapitän, hinzu, ,,Ich habe die Magie des Feuers, trotzdem zieht mich die See an, wie meine wahre Heimat.", ,,Ha! Das ist ja komisch. Woher kommt's?", ,,Ich weiß es nicht... Jedenfalls nicht mehr." Er stellte sich neben Donnerhau und legte seine Hände hinter dem Rücken zusammen. (Wie ein Professor oder ein Amateur) ,,Und du? Wieso liebst du das Meer?", ,,Äch, ich... war hier oft mit meinem Bruder unterwegs und Friedrich. Fischen, weißt du?" Er beugte sich über das Holz und beobachtete, wie die Wellen vor ihnen zerschellten. ,,Ich mochte nie das Neue. Altes Handwerk ist immernoch das beste. Schau dir dieses Schiff an! Es muss noch aus der Zeit des Alten Lodrion stammen und es hält. Friedrich hat es tatsächlich nicht verkauft, der alte Macker." Er lachte kurz auf und kratzte seine Kartoffelnase. ,,Ich... äh... Bin froh, dass es auch gibt." Dittmad lächelte und erwiderte: ,,Zwar kenne ich dich nicht lange, aber es freut mich ebenfalls, auch wenn du ein echter Griesgram seien kannst." 

Plötzlich kamen Pieksi und Ilai mit Vivaldi aufs Deck.  Der arme Hund hat sich die ganze Nacht übergeben müssen und hielt sich kaum noch auf den Beinen. Dittmad schaute zurück und hörte in die Luft hinein nach knackenden Geräuschen. ,,Setzt die Segel!", befahl er und griff ans Streuer, ,,Und Pieksi, hole ein weiches Nest. Wir haben gleich zwei weitere Passagiere an Bord."

Es wurde spannend auf dem langweiligen Schiff. Alle versammelten sich an Deck und stellten sich in einem Halbkreis um die zwei Blitz-dracheneier. ,,Passiert da noch was?", fragte Ilai schon nach, als Pieksi gerade das Nest unter sie legte. Er und Vivaldi waren aufgeregtesten. Eigentlich nur Ilai und der Hund machte ihn nur nach. Er kläffte und wedelte mit dem Ringelschwanz. Draco und Dragunia beobachteten das Spektakel von oben. 

Plötzlich rührte sich das sandfarbende Ei. Dann das dunkelviolette. Da sprengte sich das zweite auf und ein völlig trockenes, winziges Reptil zeigte ihren Kopf und die Flügel. Der Kopf war viel zu groß für den Hals, aber der Kleine hob ihn mutig in die Höhe und betrachtete die Runde mit seinen klaren Augen.

Der Zweite bekam die Eierschale nicht vom Kopf und stolperte mit ihr aus dem Nest. Vivaldi schreckte zurück, schnüffelte kurz an ihm und sprang hin und her. Der kleine, gelbe Blitzdrache hatte eine besondere Form der Hörner. Sie sahen aus wie abgesägt und waren grau-glänzend. Sein Kumpane hatte sechs (ja, wortwörtlich) große, schwarze Hörner. ,,Oh je." Pieksi hob den überstürtzten Gelben auf und betrachtete seine Augen. Sie waren so blau wie der Himmel und hatten eine weiße und leuchtende Iris. ,,Na, Kleiner? Interru, was sind das für Drachen?", ,,Blitzdrachen.", antwortete der Mann mit dem Hut und einem Handtuch um den Schultern, ,,Kleine Götter über die Drachenwelt.", ,,Götter, sagst du?" Sie streichelte den Winzling liebevoll über den kleinen Kopf. ,,Dann soll er Thor heißen.", ,,Thor?". lachte Donnerhau, ,,Bei Notchs Erbe, das ist eine Stufe zu hoch für den. Selbst Draco war größer beim Schlüpfen.", ,,Ja, aber wenn sie ausgewachsen sind, sind sie noch viel größer.", erklärte Interru, ,,In all meinen Reisen um die Welt habe ich nur einen gesehen und der war doppelt so groß, wie dein Draco.", ,,Er ist auch noch nicht ausgewachsen.", verteidigte Donnerhau seinen Drachen.

Dittmad zitterte etwas als er den anderen Drachen in die Hände nahm. Seine Augen leuchteten, wie die des Drachen. ,,Blitze, ja? Götter? Ich- Wie in den Geschichtsbüchern? Dann nenne ich ihn Zeus.", ,,Hmpf.", murmelte Donnerhau und nickte schließlich. 

Keine Zeit für Pausen.

Frühstück wurde von Dokitura und Pieksi vorbereitet. Ein schmackhaftes Filet mit Brot. Thor und Zeus bekamen auch etwas ab. Rob und Bob freuten sich so sehr über die Neuanschlüpflinge, dass sie  sich in zwei kleine Blitzdrachen verwandelten, die halt braune und orangene Schuppen hatten. Das verwirrte Vivaldi und die anderen tierischen Begleiter sehr und irgendwann hatte der Mischlingshund keinen Bock mehr. Er lief aufs Deck und sonnte sich den ganzen restlichen Tag. Dabei merkte er nicht, wie sich die vier Drachenbabys an ihn kuschelten. Interru (der seinen Bart, den er in Gefangenschaft wachsen ließ, abrasiert hatte) zeichnete diesen Moment auf einem im Wind wehenden Blatt Papier auf. Elvinaria brachte ihrem Freund etwas süßen Tee und Kekse. ,,Ist dir aufgefallen, wie Wolkov sich etwas zurückgezogen hat?", fragte sie in Sorge, ,,Er redet kaum und traut sich nicht aufs Deck. Das mit den Drachen beobachtete er nur vom Eingang.", ,,Interessant.", murmelte Interru nachdenklich, ,,Er hat sein Wolfsamulett verloren und du weißt, was das bedeutet.", ,,Du weißt es bereits?", ,,Ich beobachte viel und gerne." Er lächelte. ,,In meiner Kindheit zeichnete ich Menschen, denen ich später das Portemonnaie aus der Tasche zog. Eine Leichtigkeit für mich. Beides; das Zeichnen und das Klauen. Ich hatte kurz vor meiner Abreise aus Nonngard einige Schüler. Alles arme Schweine. Ich lehrte ihnen das Klauen, von ihnen schaute ich die Jugendsprache ab.", ,,Du wendest sie bitte nicht oft an.", ,,For sure." Er grinste und legte das Malzeug beiseite.

Dokitura führte Anduin raus aus dem Innenraum für Tiere. ,,Wohin geht's, Wächter des Westens?", witzelte Interru. ,,Anduin braucht Bewegung. Würde ich Sky und Meteor überingens auch empfehlen. Und damit wir nicht mit leeren Händen zurückkehren-" Er warf ein Fischernetz vor ihre Füße. 

Dragunia und Draco freuten sich, wieder andere in der Luft zu sehen. Sogar mit Fischernetzen und mit einigen Snacks. 

Elvinara: ,,Etwas weiter nach links! Höher!" Ihr Ton war wie der einer Generalin. Und alle gehorchten ihr aufs Wort. 

Sie ließen das Netz in das Wasser sinken und hielten es ordentlich fest, damit es nicht abrutschte. Man konnte nicht sehen, wie es sich füllte, aber es wurde offensichtlich immer schwerer. ,,Hoch!", rief Elvinaria, ,,Zurück zum Schiff!" Es war so viel Fisch in ihren Fängen, dass Interru mit Schattenherz anpacken musste. Und als seine Hilfe nicht ausreichte, krallte sich Draco rein und zog es mit Leichtigkeit hoch. ,,Drachen sind halt starke Wesen.", lachte Interru.

Sie warfen den Fisch auf das Schiff. Vivaldi und die vier Drachen wachten schlagartig auf und warfen sich auf das neue Futter. ,,Legen wir den Rest in die leeren Fässer.", schlug Pieksi vor und sammelte ein paar große Exemplare in einen geflochtenen Korb. ,,Ich mache für uns Mittag. Thor hilft mit, nicht wahr?" Der kleine (erst vor kurzem geschlüpfte) Blitzdrache schlung den Fisch runter und hüpfte hinter ihr her. ,,Wie schnell sich die Kleinen an ihre Besitzer gewöhnen. Erstaunlich.", flüsterte Interru begeistert, ,,Schattenherz war so schwer zu zähmen.", ,,Ich habe mich immernoch nicht an seine Flügel gewöhnt.", sagte Dokitura und kicherte. Anduin warf einen glitschigen Fisch gegen seine hellbraunen Haare. Er wollte unbedingt spielen.

Schon kamen die Verwandlungsgeister an und wurden zu Hippogryphen.  Das freute ihn und er sprang erfreut auf dem Deck herum. Vivaldi wollte auch mitmachen, aber er musste aufpassen, nicht zertrampelt zu werden. Er war nur ein mittelgroßer Hund unter mehreren großen und pferdeartigen Wesen.

Unten erklang zupfende Musik. Ilai hatte anscheinend eine alte Laute gefunden. Donnerhau holte eine Mundharmonika aus seiner Westentasche und spielte dazu. Dokitura setzte sich zu seiner Freundin und half mit dem Essen. 

Es war alles perfekt.

Für einen Abend schien es so, als würde nicht Krieg herrschen und Gefahr lauern. Als würden nicht hunderte Leute sterben, als würde die Hoffnung noch siegen. 

Nur Wolkov war nicht da.

Einsam saß er in einem Käfig, in den er sich selbst eingesperrt hatte.

Zusammengekauert, wie ein riesiger, grauer Fellklumpen. Mit den behaarten Armen um die Beine geschlungen. Auf der dunklen Wand hing ein zerbrochener Spiegel und ein verrosteter Kleiderhaken, auf den er sein zerfetztes Hemd gehängt hat. Überall waren Kratzspuren und Bisse an den Gittern. Als das Essen fertig war, brachte es ihm Dokitura vorbei. Es war ein Stück Kabeljau mit Lauchsoße und hausangebauten Kartoffeln von seiner Farm. ,,Komm doch raus, Wolkov.", sprach er beruhigend. ,,Ich kann nicht.", knurrte der Werwolf noch viel mehr Akzent in seiner Sprache, ,,Ich bringe euch alle in Gefahr. Wenn wir anlegen, verlasse ich euch. ", ,,Erkläre mir doch, was so schlimmes passiert ist. Klar, dein Amulett... Ich versuchte, dich von uns fernzuhalten, aber doch nicht einzusperren.", ,,Es ist besser so."

Doki seufzte und schob das Essen unter das Gitter hindurch. ,,Iss. Und äh... Solange du nicht den Mond siehst, ist alles gut.", ,,Glaubst du."

Die Nacht war ruhig und mal nicht von Donnerhaus Schnarchen geplagt. Jedoch war das Wasser schwarz und tief wie ein großes Loch ins Erdinnere. Eine gruselige Vorstellung.

Ein brauner Wolf stand mit einer Laterne im Maul auf dem Bug und ein rötlicher Rabe drehte seine Kreise über dem offenem Wasser. 

,,Land in Sicht!"; krähte er und verwandelte sich in einen flinken Salamander um alle zu wecken. Verschlafen stand Dittmad auf und lenkte das Schiff zum Hafen. Langsam bewegten sie sich an Nonngard vorbei. Pieksi und der Rest schauten neugierig raus. Noch nie zuvor hat sie diese Stadt gesehen. Genauso wenig Ilai oder Dittmad selbst. Dokitura rüttelte Interru wach und zischte: ,,Hey, Kumpel, schau dir diese Schönheit an." Leuchtende Wolkenkratzer, glitzernder Himmel, heller Sichelmond. Alle hielten den Atem an und bewunderten diese Aussicht. Wolkov hörte nur die anderen Schiffe und Jachten, die sich am Hafen auf und ab bewegten. Er hörte die Wellen, die Gespräche und die hupenden Autos. Irgendwo stand Weißfleck neben seinem Käfig und schnaubte ihn an. ,,Was willst du?", knurrte er ihn an, ,,Soll ich raus?" Es kam zwar keine Antwort vom Pferd, aber er nickte sich selber zu. Er schloss das Gitter mit einem an der Wand hängenden Schlüssel auf und tastete sich in der Dunkelheit hinaus. Er machte ein Klickgeräusch und sein Eisschwert fachte auf. So konnte er den ganzen Raum erkennen.

,,Ich habe Empfang!", rief Doki glücklich, rieb sich die Augen und rief sofort seinen Bruder Shang an.

 

In der Küche war es leise. Eine kleine Anspannung beim Poker halt. Ivan verlor schon wieder. ,,Das gibt es nicht!", jaulte er und fuhr sich durch die weiß-grauen Haare. ,,Du bist viel zu ehrlich.", erklärte Shang während er die bunten Plättchen zu sich schob, ,,Nutze dein Pokerface.", ,,Leichter gesagt, als getan." Ivan lächelte ihn geradlinig an. Als hätte er nichts zu verbergen. Bo ist während des Spieles eingeschlafen und stützte den Kopf mit den Armen ab. Die zwei Männer sahen sich an und nickten. Es wurde Zeit für den guten und vor allen Dingen gesunden Schlaf. 

Plötzlich rang das Handy im Wohnzimmer.

Shang eilte zur grünen Taste und fiel zwei Mal über die Falten im Teppich. ,,Es ist Doki!" Bo Hua wachte auf und rannte zu ihm. ,,Sie leben!", erklärte er, was er hörte, ,,Sie kommen alle vorbei... Warte- Doki! Wie viele seid ihr? Passt ihr hier rein? ... Okay... Okay... Sie gehen zu Serkans Villa am Hafen.", ,,Wir machen uns gleich fertig. Sag ihm das!", fügte Ivan hinzu und holte seinen Mantel (und sein grün leuchtendes Schwert aus dem Lagerräumchen).