Schulfreunde und Feinde

Piep, piep, piep, piep

Der nervige Ton des Weckers schleuderte Shang aus seinen Albträumen. In der Küche hörte man das Knistern der Eier auf der Pfanne und das Gas rauschen. Es klirrten Teller und Besteck. 

War er wieder bei Onkel Morgal? Für einen kurzen Moment dachte er an die köstlichen Pfannenkuchen mit Schokosauce und Streusel zu seinem zehnten Geburtstag. Er hatte keine Freunde, weswegen er nur mit Doki und Morgal feierte. Trotz aller Unfreulichkeiten in der Vergangenheit, war er fest entschlossen, das Leben zu genießen und Wissen zu sammeln. Langsam strich er über den Bücherrahmen von Interrus Tagebuch. Wenn er an ihn und seine gute Laune dachte, war der Tag garnicht so schlimm. Verschlafen rollte er sich vom Sofa runter und betrat das Esszimmer. ,,Guten Morgen!", sagten Wolkov und Bo Hua. ,,Ich habe gestern die Bücherregale durchkämmt.", meinte sie, ,,Nonngard ist so eine interessante Stadt! Du musst mir unbedingt alles zeigen." Wolkov grinste über beide lange Ohren. ,,Shang macht das liebend gerne, aber erst nach dem ersten Schultag. Mit dir in der Klasse." Shang_King erwachte sofort aus den vortsetzenden Träumen. ,,Ich dachte sie wäre nur in der Paralellklasse.", ,,Pläne ändern sich, mein Schüler. Und jetzt iss das Spiegelei, sonst kommen wir noch zu spät.", ,,Wir?!", schrie Shang_King entsetzt. ,,Doki hat mich als Bodyguard eingestellt.", antwortete sein Meister. Shang brummte etwas von "Ich werde ihm das noch heimzahlen" und schlang das Ei runter.

Vor den Fenstern klebte noch Morgentau, der in der aufgehenden Sonne wie tausende winzige Diamanten schillerte. Dichter Nebel bahnte sich den Weg durch die Straßen wie eine graue Schlange. Ein typischer Morgen im Westen Hebriels. Sie liefen hinaus, direkt zwischen einen Stau an hupenden Autos. ,,Die Ampel ist wohl wieder kaputt.", dachte Shang sich und trat beinahe auf eine Ratte, die nach Essensresten suchte. Zwei Sekunden später trat Wolkov ausversehen auf sie und fragte nach dem Weg zur Schule. ,,Kurz oder sicher?", fragte Shang. ,,Kurz natürlich! Du hast doch mich." Shang nickte schnell und zog sich eine Wollmütze um die Ohren. Er bog in eine enge Gasse ein, wo es nach Alkohol und Gift stank wie sonst was. Bo hielt sich die Nase zu. ,,Doch nicht so faszinierend die Stadt, oder?", ,,Doch. Auf jeden Fall! In unserem Dorf gab es keine dreckigen Gassen. Das ist alles neu für mich."

Da ertönte eine gleichgültige, aber eiskalte Stimme. ,,Oh, der Panda ist zurück! Hey, Schwarz-Weiß-Fresse!" Ein etwas kleinerer Junge klapste dem König (was er nicht wusste) an den Hinterkopf, dass ihm schwindelig. ,,Agro wird sich auf dich freuen und auf die ganzen Pläne, die er für dich vorbereitet hat.". ..Jetzt weiß ich bescheid, Eliot." Die dunkelblonde Igelfrisur war etwas feucht, wegen dem ganzen Nebel. ,,Wir sehen uns!", knurrte er und musterte den Werwolf, der ihm einen tödlichen Blick zusandte. ,,Wer war das?", ,,Eliot. Ein nicht sehr freundlicher, dafür aber ein ruhigerer Schläger.", ,,Und wer ist dieser Agro?", ,,Ich nenne ihn Ark oder Arcadij. Er ist der, sagen wir Anführer, jedenfalls meint er das, der Schläger in der Klasse." Er merkte, wie seine Beine schlotterten und seine Zähne klapperten. ,,War das zufällig der von gestern?", ,,Ja, er ist oft in diesen Vierteln, holt sich etwas zu Essen, spielt etwas mit Freunden, macht Dinge kaputt oder teilt Decken an die Obdachlosen aus.", ,,Garnicht so ein schlimmer Kerl.", schob Bo dazwischen. Shang flüsterte: ,,Warte nur ab."

Und dann standen sie davor.

Schüler mit vollbepackten Ränzen strömten ins Gebäude, quatschten über vergangene Partys oder die unverschämten Preise in den Schreibwarenläden. Die etwas jüngeren beschwerten sich darüber, dass ihnen ihr Ball von jemandem geklaut wurde (und jeder wusste genau, von wem) ,,Kommst du also mit?", fragte Shang mit zitternder Stimme. Wolkov antwortete: ,,Immer, mein Lehrling. Ich will nur sagen, dass du deine Rolle in diesem Land erstmal geheim halten sollst. Wer weiß, welchen Scherz sich die Leute so erlauben." Seufzend nickte Shang und trat ein ins Reich des Wissens.

Als die Tür hinter ihnen zufiel, verschwand der Nebel und die Sonne entfaltete sich wie eine magische Blüte im blauen Himmel.

Doch auch wenn alles perfekt schien, lauerte etwas in den Schatten der Stadt. Nicht auf der Flucht, auf der Jagd. Nach Blut.

Vor dem Klassenzimmer stand ein breitschultriger Teenager mit grauem Markenpullover, schwarzer Hose, grauen Schuhen, mit Gel versifften Haaren und flammenden, dunklen Augen. Neben ihm kauerte Eliot wie ein Kojote und erzählte dem Tiger die Neuigkeiten. ,,Arcadij.", ,,Streberfritze, schön dich wieder zu sehen.", knurrte dieser mit rauer Stimme, ,,Welcher Anlass bringt dich dazu, deine Haustiere hier reinzu-schleppen?", ,,Satknis (halt die Klappe), Arcadij.", ,,Ach." Der Junge verschränkte die Arme. ,,Eto snatschit nastojaschij Wladimir Wolkov. (das ist also der echte Wladimir Wolkov). Ne oschidal (habe ich nicht erwartet). Dumal pluschevij. (Dachte, es war ein Plüschtier). Sto nado, Starik? (was willst du, alter Kerl?)" Bo und Shang verstanden kein einziges Wort, aber an der Stimmung war zu erkennen, dass das kein angenehmes Gespräch war. Wolkovs Atem wurde kälter und seine Stimme beißender. ,,Ja tebe ne Starik! (Für dich bin ich kein alter Kerl) Ti bil bie po astoroschnie s takimi slowami (sei bloß vorsichtig mit solchen Worten).", ,,Ojojoj. Bojus (Oh, ich habe so große Angst)" Da mischte sich ein junges Mädchen ein. ,,Shang ist da!" Eine große Schar bildete sich um den Halbpandai und Bo. ,,Gerda, halt's Maul! Er ist nichts besonderes." Sie ignorierte Ark und zog den ehemaligen Streber ins Zimmer. Sie grinste und sprach: ,,Schön, dich wiederzusehen.", ,,Hallo, Gerda. Du siehst immernoch so aus wie vor einem Jahr. Genauso wie alle anderen auch...", ,,Ja, genauso hässlich wie immer.", fauchte Arcadij und zog an ihren langen, blonden Haaren. ,,Stimmts, Dicke?" Gerda sandte ihm einen ernsten Blick zu und Ark grinste. ,,Spaaß. Alles nur Spaaß." Der König seufzte: ,,Und eure Beziehungen haben sich nicht verändert.", ,,Nö. Werden sie auch nicht.", fügte Agro hinzu. 

Der Lehrer betrat den Raum und der Unterricht begann, wobei Herr Brandt sich nicht von dem großen Werwolf in der hintersten Reihe stören ließ. 

Nach drei Stunden machten sie sich auf die Socken zur Bibliothek. Gerda rief: ,,Du musst doch die Neue sein?", ,,Ja, Bo Hua.", ,,Komm doch mit auf den Hof." Sie blickte Wolkov fragend an und er nickte ihr zu. Agro lehnte sich an eine Wand und beobachtete sie, während sie versuchten, den Bibliothekar von einem Voreintrag zu überzeugen. Es hat nicht funktioniert. 

,,Verdammt.", knurrte Wolkov, ,,Wie sollen wir jetzt machen?", ,,Vielleicht ihm sagen, wer ich wirklich bin?", ,,Auf keinen Fall. Nicht jetzt." Arcadij sprach ruhig: ,,Ihr wollt also in die Bibliothek? Ihr habt ziemlich Glück.", ,,Wieso?", ,,ich weiß, wie ihr hier reinkommt. Aber zuerst erzählt ihr mir, warum ihr wirklich hier seid."