Eiliger Testflug

Graue Wolken bedeckten Hebriel wie ein flaschiger Morgenmantel. In Londrion fing es wieder an zu regnen und die Leute flüchteten in ihre Häuser. Das Sonnenlicht wurde verschluckt und Blitze durchzogen den Himmel. Im Berg war davon nichts zu spüren. Ja, im Berg. Meterweit unter der Spitze des östlichsten Hangs. Im Labor des Erfinders Serkan Jacob Graffield. Dieser tüftelte wieder konzentriert an seiner süßen Kirsche auf der Torte: Dem Anzug. Keine Ahnung, wie er ihn nannte, Auf jeden Fall soll er damit fliegen können.

,,Serkan, dein Auftritt im Fernsehen beginnt in zwölf Stunden. Solltest du nicht langsam deine Sachen packen?", sagte Maja, während sie Caffe machte. ,,Ich war gestern schon in Nonngard. Die Stadt geht mir auf den Senkel.", ,,Senkel hin oder her, du musst dorthin!" Er rollte mit den Augen und schaltete die Lampe auf seinem Tisch aus. ,,Ein achtjähriges Kind kommandiert an mir rum. Das Leben kann nicht besser sein!", ,,Ich bin deine Fast-Tochter." Serkan faltete die Flügel der Maschine zusammen und legte sie in seinen Koffer, putzte seinen Revolver und stieg in den Privatjet. Alles ganz normal, bis er unter den Regenwolken, im Birkenwald der Insel etwas komisches bemerkte. Nacheinander, in Sekunden, brachen die Bäume um, wie ein Kartenhaus. ,,Siehst du, was ich sehe?", fragte er Maja und sagte, sie sollen sofort landen, auch wenn es zu gefährlich ist. Etwas war da unten. Etwas mächtiges. 

Zum Glück gab es eine große Ebene am Strand, wo sie sicher landen konnten. Serkan steckte seinen Revolver ein und trat alleine hinaus. Der Regen peitschte gegen sein helles Gesicht und färbte seine weißen Haare hellgrau. Der Sicherheitsmann wisperte: ,,Soll ich mitkommen?", ,,Nein. Du bleibst hier. Er will nur mich sprechen.", ,,Wer?", ,,Unser Feind.", ,,Woher weißt du das?", ,,Meine Seele hat mich gerufen." Damit schritt er mit selbstbewussten Gang über die umgeklappten Birken. ,,Boss!", schrie der Wachmann, ,,Boss!!" Doch der hörte ihn nicht mehr. Von außen schien er stolz und furchtlos, aber im Inneren war er angsterfüllt und nervös. Je weiter er ging, desto weicher wurde die Erde. Das Wasser lief seinen Nacken hinunter. Kalt und nass war sein karierter Anzug. Eine braune Gestalt mit gelben Augen blickte ihn direkt an.  Der Millionär zündete mühevoll seine Pfeife an und stellte sich entspannter hin. ,,Guten Tag, Mit' Rhan. Schöner Morgen, nicht wahr?" Ein Erddämon schlich zu ihm. Jeder seiner Schritte war wie ein schlammiges Plantschen. ,,Der Oberste schickt Boten. Wir stark. Wir zahlreich. Er verlangen Lieferung.", ,,Ich habe ihm die Lieferung letztes Mal aus reiner Not gegeben.", erwiderte Serkan, ,,Wo ist er jetzt? Wer bedroht mich? Nicht vergessen: Ich bin keiner von euch. Ich kämpfe für meine Freunde, nicht für deinen Erschaffer.", ,,Großer Fehler.", ,,Vielleicht.", ,,Wenn keine Freunde mehr, dann du uns liefern?" Serkan setzte seine Pfeife ab und beäugte Mit' Rhan mit teuflischem Blick. ,,Wage es nicht!", ,,Ich nicht. Meine Freunde vielleicht.", ,,Wie viele Dämonen sind denn schon hier?", ,,Uns drei. Ein menschlicher Verräter." Der Erfinder knirschte mit den Zähnen und ging zum Jet. ,,Wenn du nicht gehorchen,", rief der Dämon, ,,Du wirst bestraft!"

Der Flug dauerte wenige Stunden. In dieser Zeit dachte sich Serkan die verschiedensten Möglichkeiten aus, wenn er das und das tuen würde. Eines stand aber fest, sie waren auf der Suche nach Shang_King und sie würden alles tun, um ihn zu Taifun zu bringen.

Nachdem sie im Fernsehstudio angekommen sind, wurden ihm tausend Kabel unter dem Anzug angelegt. Damit er nicht jeden anfauchte, gab ihm Maja eine Beruhigungstablette. Sie hatte sich die blonden Haare frisiert und ihr Kleid gebügelt. Ihr Teddybär hatte eine Fliege an und sie hat es geschafft, ihn in einen schwarzen Plüschanzug zu stopfen. Serkan lächelte als er sah, wie sehr ihr sein Geschenk gefiel. ,,Es geht los.", sagte eine Frau mit Mikrofon. Er schritt ins Studio. Oh Gott, wie er dieses Studio hasste. Immer die selben Leute, die ihm immer die selben Fragen stellten. ,,Wie geht es weiter mit ihrer Produktion?", ,,Welche Upgrades beinhaltet das neueste Waffen-paket?", ,,Wie viel wird es kosten?" Wer kann ihnen denn verübeln? Bürgermeister Owen Smith war ein großer Fanatiker von Familie Graffields Industriebetrieben. Er interessierte sich am meisten an der Waffenproduktion. (Anstatt die Stadt zu säubern und Wohnungen nicht leer stehen zu lassen) ,,Guten Abend, hier bei Sender 3.", erzählte die Moderatorin mit breitem Grinsen, ,,Heute, nach einem Monat, ist Serkan Jacob Graffield wieder bei uns zu Gast. Guten Abend, Sir!" Serkan nickte nur und lehnte sich entspannt zurück. ,,Wie läuft es in ihrer Waffenproduktion?" Jetzt war der Moment, etwas anderes zu sagen als: ,,Gut, wie immer." Er antwortete ohne Emotionen: ,,Noch gut.", ,,Noch?" Endlich eine andere Frage. Doch diese brachte ihn etwas aus dem Konzept. ,,Ich arbeite an etwas. Lasst es mich erklären." Er stand ruckartig auf und streifte durch das Studio wie ein alter Tiger oder ein Geschichtenerzähler, der die Geschichte vergessen hat. ,,Mein ganzes Leben stapfte ich in den Spuren meiner Familie. Diese waren so alt, dass man immer mehr in ihnen versinkt. Aber man merkt das nicht, weil... Das sind ja immernoch Fußspuren! Doch irgendwann merkte ich, wie sehr dieser Weg, den meine Familie seit Generationen geht, mich runterzieht... Ich brauche mehr Möglichkeiten für meine Persönlichkeit. Für meine Gedanken. Sonst schaffe ich einen weiteren Sumpf und dieses Mal werde ich nicht mehr rauskommen.", ,,Sir Graffield, was wollen Sie mit dieser Metapher ausdrücken?" Und Serkan antwortete schnell und einfach: ,,Ich stelle meine Betriebe ein." Ein lautes Raunen ging durch das Studio und plötzlich stürmten Paparazzi auf die "Bühne" und hielten ihm ein Mikro ins Gesicht. ,,Mister Graffield, können Sie das wiederholen?", ,,Ich stelle alle Betriebe ein! Alle.", ,,Auch in Angesicht von Taifun? Was sagt der Bürgermeister dazu?", ,,Fragt ihn doch selbst. Und ich tue euch gerade einen großen Gefallen. Ich rette euch euer Leben!" Plötzlich erstarrte sein Blick auf der Glasscheibe. Nonngard erstreckte sich wie eine leuchtende Matte vor ihm, strahlend in Regenbogenfarben. Die Stimmen der Journalisten verklungen und wurden unklar. Es war eine Art Taubheit. Vor Angst. Eine winzige Eisschicht bahnte sich ihren Weg nach oben. In einem Muster, welches einem einen Schauer über den Rücken jagt und gleichzeitig fasziniert. Man erkannte, wie Krallen die Eisschicht ankratzten. Ein Scharren ertönte hinter der Scheibe und zwei silberne Augen blickten hasserfüllt hinein. ,,B' Oun.", murmelte Serkan und zog langsam seinen Revolver. ,,Duckt euch!!" Er schoss durch die Scheibe und ein Schrei wurde laut, wie das einer gigantischen Katze. Die Unsichtbarkeit des Dämons schwand und ein dunkles, sechsbeiniges Geschöpf klebte auf einmal an dem Eis. Ein Ring aus Eiszapfen schmückte seinen Kopf wie eine Krone. Die Krallen aus reiner, silberner Kälte. 

In wenigen Herzschlägen brach Panik aus. Alle rannten die Treppen hinunter wie Spielmurmeln. Mit seinem langen, spitzen Schwanz durchbohrte die Eisdämonin das Glas und stürmte das Studio. Jeder, der gerade Fern sah, wurde Zeuge einer drei Meter hohen Bestie, die mit Eiszapfen auf Serkan Graffield schoss. Die eisigen Zähne hatten keinen Mund. Ineinander verrenkt waren sie am Kopf angebracht und öffneten einen Schlund, bestückt mit tausenden Splittern. Die sechs Beine waren so breit wie Bäume und der Hals so lang wie der eines Drachen. Maja rief nach Serkan, aber dieser schloss sie in einem sicheren Zimmer ein und zog sich die Flügel an. ,,Du glaubst, du kannst mir entkommen, Graffield?" B' Oun hörte sich an wie eine Schlange. ,,Aber du irrst dich! Wenn du keine Waffen hast, werden wir sie trotzdem bekommen. Wir sind zahlreich! Die Schlangen warten nur darauf, die Meere unsicher zu machen.", ,;Sie kommen niemals durch!", ,,Und ob. Taifun hat die Seele meiner Gebieterin an sich gerissen und ist jetzt mächtiger denn je!", ,,Die Schreckenskönigin?", ,,Ja. Und bald knüpft er sich ihre Vetter vor." Serkan versuchte sich zusammenzureimen, welche Auswirkungen so eine unvorstellbar große Macht hat. ,,Aber zuerst werde ich dich fressen!", ,,Noch nicht." Er sprang mit großem Anschwung aus dem Fenster und zog am Schnürchen. 

Für einige (wunderbare) Augenblicke, schwebte er wie ein Pegasus in der Luft. Dann machte er eine schmerzhafte Bruchlandung auf dem nächsten Dach. ,,Dumm, dumm, dumm.", zischte B' Oun, ,,Ich kann nämlich auch schweben. Und jetzt-" Sie beugte sich mit aufgerissenem Maul über den kauernden Erfinder (der sehr zerzauste Haare und zufällig einen gebrochenen Arm hatte). 

Schnitt. 

Ihre Augen erloschen wie ausgepustete Teelichter und sie sank als schwarzes, nasses Tuch zu Boden. ,,Nicht solange ein Werwolf zur Stelle ist.", sagte eine Stimme mit russischem Akzent. ,,Wolkov?" Ein etwas kleinerer, hellerer Werwolf trat ins Licht. ,,Nein. Ich bin Ivan Tomynski."