Eine Party und eine weiße Katze

Shang starrte das Buch der Zeit an, wie schon vor drei Tagen. Egal, was er darin suchte, er fand es nicht. Als würde etwas fehlen. Etwas, was die Magie zum Laufen brachte. Arcadij stand im Türrahmen und hopste ungeduldig hin und her. Er wollte unbedingt seine Zukunft erfahren, aber selbst Wolkov wusste nicht, was mit dem Buch nicht stimmte. ,,Ist doch ganz klar.", sagte Ivan, dabei rührte er seinen Tee vorsichtig um, ,,Das Buch gehört auf einen Zaubertisch." Serkan brummte: ,,Dann suchen wir ruhig einen. Klar. Jeder zweite hat einen bei sich im Schlafzimmer stehen! -  Nichts da. Das Buch ist eine Fälschung.", ,,Lüge.", fauchte Ark, obwohl er keine Ahnung hatte, und wusste, dass er sie nicht hatte. Serkan fauchte zurück: ,,Was hast du für ein Problem mit mir?", ,,Jeder hat ein Problem mit dir. Weil du ein dummer H*rensohn bist.", ,,Arcad!", mischte sich sein Großvater ein, ,,Ich weiß, dass du ihn nicht leiden kannst, aber nimm nicht solche Ausdrücke in den Mund. Ponel (Verstanden)?", ,,Da, da. (ja, ja)." Plötzlich stampfte irgendjemand gegen die Tür. Wolkov zog sofort sein Schwert und Serkan packte seinen Revolver. ,,Wer ist da?", ,,Wasilisa. Wo ist mein Sohn?! Ich weiß, dass er hier ist!" Arko schlich sich leise ins Badezimmer. Ivan machte die Tür auf. Eine kleine, starke Frau stand auf der letzten Steinstufe und verschränkte die Arme. Im Schlepptau hatte sie einen Burschen, der fast genauso aussah, wie Arcadij. Nur hatte er eine Mütze über dem Kopf und war etwas leiser. ,,Tatsächlich. Wasilisa.", ,,Ivan. Gde moj sin (wo ist mein Sohn)?", ,,Nikakova priveta (keine freundliche Begrüßung)? Na primer, ti escho schiv (zum Beispiel, du lebst noch)?", ,,Eto ja wischu (das sehe ich selbst). Gde Arcadij?" Aus dem Bad zauberte sich der verschollene Sohn hervor. Wasilisa fluchte: ,,Wes w otza (Wie der Vater). Schto ti sdes delaesch (was machst du hier)?", ,,Ne waschno (Nicht wichtig).", ,,Ja tebe pokaschu ne waschno (ich zeig dir noch "nicht wichtig")." Am Ende eines fünf Minuten langen Gesprächs zog die Mutter Arcadij am rechten Ohr nach Hause, weil er sich noch vorbereiten muss für zwei Wochen ohne Mama mit einem jüngeren Bruder am Hals. Ivan wurde einfach stehen gelassen.

Der nächste Tag war Freitag. Natürlich nutzten die Schüler diesen zum Lernen... Außer Arcadij. Er quatschte die ganze Zeit mit Eliot oder knüllte seine Blätter zusammen und versuchte sie in den Mülleimer zu werfen. ,,Ich wette, ich treffe." Der Lehrer: ,,Versuche es ruhig.", ,,Wenn ich treffe, haben wir Freistunde.", ,,Und wenn nicht, schreiben wir einen Kurztest.", ,,Geht klar." Ark mochte solche kleinen Wetten, schon seit Shang ihn kannte. Dramatisch angehaucht zielte er in den grauen Mülleimer, der an die Wand geschraubt war. Gerda rollte mit den Augen und sprach: ,,Werf doch einfach." Er warf. Daneben. ,,Eh! Das ist alles nur deine Schuld."; ,,Klar." Gerda holte schon ein Blatt Papier raus, aber der Lehrer beruhigte sie. Nur Arcad musste schreiben. (Ha) ,,Hol deinen Müll." Mit gesenktem Kopf schlängelte sich der Prügler durch die Reihen, natürlich nicht normal. Erstmal rumspringen wie ein Känguru und dann durchschlittern. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Ein Grinsen huschte über sein Gesicht. ,,Leute! Heute ist eine Party bei mir. Alle sind eingeladen, auch Sie, Herr Vogel.", ,,Ich komme net.", ,,Schade." Er blickte auf seinen Platz zurück und rief: ,,Alle, außer Gerda." Gerda antwortete darauf: ,,Und keiner wird kommen, außer mir." Ark schob den Daumen zwischen Zeige- und Mittelfinger und zeigte ihr die Geste, damit das auch alle sahen. ,,Zettel raus, Arcad.", ,,Oh nö."

Wladimir und Ivan waren überhaupt nicht begeistert von Arcadijs plötzlichen Idee. Sie meinten, es gäbe viel wichtigere Dinge zu tun.  Für Arcadij aber, und das wusste Shang sehr gut, nicht. ,,Es wäre mir eine Ehre, wenn du auch kommen würdest, Shang, Eure Majestät." Shang hatte eh vor, mal nachts aus dem Haus zu gehen. Natürlich mal ohne Begleitung. Außerdem wollte Bo Hua auch mal die Stadt sehen. Im großen und ganzen stimmte er also zu. ,,Aber nur, wenn du auch Gerda einlädst.", ,,Wieso denn die?", ,,Sie hat es nicht verdient, ausgeschlossen zu werden." Arko zischte: ,,Ich brauch die nicht in meiner Wohnung.", ,,Und wenn ich es befehle?", ,,Lol." Er kratzte sich am Hinterkopf und zog eine Grimasse. ,,Okaaay." Damit wollte er eigentlich schon gehen, doch Shang_King hielt ihn auf. ,,Was hält dein Bruder von deiner Feier?", ,,Er hat nicht viel zu sagen."

Am Abend machten sich Bo und der König auf die Socken, solange sein Mentor und Arkos Großvater mit Serkan Karten spielten. Shang mochte Serkan noch weniger als zuvor. Das mit dem Waffentransport an Taifun und dann keine Unterstützung an sein eigenes Land... Seitdem er es erfahren hatte, ging er Serkan möglichst oft aus dem Weg. Es herrschte eine angespannte Stimmung in der Wohnung, besonders, weil sein Klassenkamerad ständig versucht, Serkan die Nase zu brechen. Was auch immer vorgefallen ist, Shang hätte ihm auch am Liebsten die Nase gebrochen. 

Bo und er liefen schüchtern nebeneinander im Licht der untergehenden Sonne. Die nassen Bordsteinkanten leuchteten gelblich und die Fenster der mehrstöckigen Häuser spiegelten die Wolkenkratzer hinter ihnen. Sie gingen nach Süden, noch weiter nach außen. Im dritten Stock eines Neubauhauses schien es förmlich zu krachen. Am Eingang stand Ark mit weißem Hemd und schwarzer Hose, als würde er gleich Tango tanzen. ,,Ich wusste, dass ihr kommen werdet." Er bot Shang eine Zigarette an, doch dieser lehnte sie höflich ab. ,,Du rauchst?", ,,Hab es vor zwei Wochen versucht. Fühle mich nicht besser, kann aber nicht mehr aufhören." Er richtete sich die Haare als Mel und Lena das Haus betraten. ,,Hast du das gesehen?", ,,Mel und Lena?", ,,Oh ja. Sie ist gekommen. *räusper* Wird richtig gut. Ich fühle es."-,,OLA!" Erschrocken sprang Shang zur Seite. Ark fauchte: ,,Verpiss dich, Lucius!", ,,Jaja."

Drinne war der Teufel los. Alle Sitzmöglichkeiten waren in der Mitte zusammengeschoben, überall flackerten LED's, aus den Lautsprechern dröhnte laute Partymucke. ,,Hey, Jungs, das ist Shang.", ,,Als ob du den auch eingeladen hast.", kächzte Milo.

,,Sei nicht so ehrenlos! Der ist stinkereich, glaub mir." Shang fragte Ark: ,,Hast du überhaupt genug Geld für das alles hier?" und zeigte auf den ganzen Raum, plus den Alkohol in den Gläsern. ,,Safe. Ähm... Ich finde schon was.", ,,Ha, Geringverdiener.", lachten die Jungs und tranken ihre Gläser aus. Shang nahm auch einen Schluck. 

Als er zum Fensterbrett sah, erblickte er die selbe Katze vom Einbruch. Sie hatte weiß glänzendes Fell, gelbe, große Augen, die ihn irgendwie an Taifun erinnerten und einen buschigen Schwanz, den sie akkurat über ihre Pfoten gelegt hat. Sie schaute zu ihm zurück. Als jemand am Fenster vorbeiging, verschwand sie und ihre großen Augen. Wie in einem Horrorfilm, wenn der Täter hinter einem Auto, welches vorbeifährt, verpufft. Er rieb sich die Gucker, aber sie war weg. Oder nicht wirklich da.

Durch die Wohnungstür kam Gerda rein, ganz normal gekleidet, als würde sie sich nicht viel von der Feier erhoffen. ,,Ach, du also auch.", sprach sie mit einem Lächeln. ,,Ja, Arko hat ja alle eingeladen.", ,,Ja, Arcad macht das oft unüberlegt. Mehr Sorgen mache ich mir um seine Brieftasche." Sie zeigte auf das Buffet. ,,Aber man lebt nur einmal.", fuhr sie fort, ,,Deswegen bleibe ich erstmal hier. Viel Spaß dir noch!" Shang winkte etwas verwirrt hinterher. Wieso hat sie ihn so komisch angesehen? Lag das an der Weinflasche in seiner Linken? Bo schlich zu ihm und fragte: ,,Wollen wir nicht langsam nach Hause?", ,,Wir sind doch erst... Eine halbe Stunde hier.", ,,Ja, aber... Arcadij wirkt schon etwas besoffen." Sie hatte nicht ganz unrecht. Irgendwie waren alle wie lachende Zombies, die sich kaum noch auf den Beinen halten konnten. Arcadij saß gemütlich (lachend) auf dem grauen Flauschesofa und hatte Mel unter dem linken Arm. Diese war ebenfalls am Lachen und trinken. Und im selben Moment, als sie sich etwas zu nahe kamen, hetzte ein wutentbrannter Werwolf die Treppen hinauf und zog Shang raus. Gerda sah nur wie er aus der Tür gesogen wurde. Dann erblickte sie Arko mit Mel rumkuscheln, schüttelte den Kopf und folgte ihm.

,,Was fällt dir ein, hier draußen rumzuspazieren?! Und zum Teufel -  auch du Bo?", ,,Wir wollten etwas raus." Serkan stand im Schatten und drehte seinen silbernen Revolver in der Hand (die nicht gebrochen war). ,,Ihr habt ja keine Ahnung", fügte er hinzu, ,,Hier lauert ein gefährlicher Dämon, wenn nicht gar der Gefährlichste seiner Art und er macht Jagd auf den König." Ivan flitzte in Arcadijs Wohnung und kam in Kürze wieder hinunter, mit seinem Enkel. Dieser stolperte die Treppe hinunter und fiel schmerzhaft hin. Mel lachte nur (mit einer Flasche Champagner). Gerda und Ivan halfen ihm wieder rauf. ,,Mama, seit wann hast du einen weißen Bart?", fragte er grinsend. ,,Reiß dich zusammen, Arcad! Selbst Borislav hält sich bei Partys eher zurück.", ,,Wer ist Borislav?", ,,Dein Bruder!"

Gerda stützte Arko so gut, wie sie nur konnte. ,,Ich glaube, Herr... Wer sind Sie eigentlich?", ,,Sein Großvater! Ivan Tomynski!", ,,Hören Sie, er ist gerade nicht ansprechbar. Wie eigentlich immer. Ich kümmere mich darum. Gehen Sie nur mit ihren Freunden nach Hause.", ,,Er ist aber mein Enkel!" Arko sprach etwas unorientiert: ,,Geh ruhig, Opi.", ,,Sie müssen Shang beschützen." Ivan lief seufzend davon. Arcad hielt Gerda einen Autoschlüssel vor die Nase. ,,Meli, wir fahren Karaoke!", ,,Nein, ihr fahrt jetzt keine Karaoke. Wenn, dann fahre ich. Ich habe Führerschein und bin nicht angesoffen.", ,,Wer bist du?"

 

Shang konnte seine Beine kaum spüren. Es war kalt und verschwommen. Die ganze Welt schien sich zu drehen. Wolkov knurrte finster: ,,Was hast du denn nur getrunken?", ,,Ein Gläschen!", verteidigte er sich, ,,Nur eines, aber alles ist jetzt so schön bunt." Serkan rollte die Augen. ,,Das nennt man König.", ,,Halt dich zurück!", fuhr Wladimir ihn an, während er seine Narbe am rechten Auge kratzte. 

In einer Gasse huschte eine helle Gestalt umher. Es war diese Katze, das spürte Shang. Er spürte es. Als sie zuhause ankamen, legten sich alle ins Bett. Nur Wolkov nicht. Er machte ganz leise Musik an, damit nur er es hören konnte. Das Feuer im Ofen knisterte und wärmte die Zimmer. ,,Ihr habt doch den Verstand verloren.", fluchte Wolkov und schob zwei Regale vor die Tür. ,,Wir waren viele. Ein Dämon konnte uns nichts anhaben. Es ist doch nur ein kleiner Erdhaufen, wie wir gesehen haben." Serkan pfiff. Wolkov stellte sich vor Shang und legte seine Pfoten auf seine Schultern. ,,Das ist Mit' Rhan. Er wurde von Taifun erschaffen, als dieser trainieren wollte und da ich keine Zeit hatte, baute er sich seinen eigenen Partner aus seinen Gefühlen. Was raus kam war ein Erdhaufen voller Hass. Ein Dämon. Dieser wurde aber stärker als jeder Erddämon vor ihm. Er entfesselte sich selbst. Er zerstörte die Landstriche im hohen Norden, er tötete tausende Gegentruppen. Seine Macht ist so groß, dass niemand ihn aufhalten kann, außer mit Geschick und Magie.", ,,Er könnte dich auf der Stelle zerdrücken, wie einen Käfer unter einem Autoreifen.", fügte Serkan hinzu, ,,Danach wird er dich wie Weizen in Mehl zermahlen und fressen und sich dabei so fühlen als wäre er noch hunriger. Bist du dir sicher, dass die Party dich geschützt hätte? Er hätte euch alle töten können und eure Lebern in Schlamm getaucht als Andenken!" Das war klar genug. Shang fragte aber: ,,Und wieso ist er nicht hier und kämpft gegen uns?!", ,,Er ist an Taifuns Seite, ständig. Nur dieser kann ihn hinfort schicken." Der König fuhr sich durch sein Fell. ,,Ich gehe jetzt schlafen.", ,,Mach das.", murmelte Wolkov etwas ruhiger.

Shang betrat sein Zimmer lustlos und müde. Um seinen Puls runterzu-fahren machte er seine Tischlampe an und aus. Das kleine Licht beleuchtete ein Bild von ihm und Onkel Morgal. Und plötzlich erinnerte er sich an seine Begegnung mit Wolkov. Diese kalte Nacht und dieser große Werwolf mit einem Auge. Damals war Interru dabei. Damals lebte er noch, fröhlich, energisch und stolz, wie immer. ,,Wer weiß, wer der Verräter ist.", zischte eine eisige Stimme aus dem Schatten. Er schreckte hoch und packte zitternd seinen Dreizack. ,,W-Wer ist da?" Als er nach unten blickte, sah er die weiße Katze. ,,W-Wie bist du hier rein...? Was willst du, Katze?", ,,Du denkst wohl ehrlich, ich bin bloß eine Katze?" Vor Schreck ließ er die Waffe fallen und presste sich gegen die Wand. Jedes Härchen an ihm stand ab wie vom Strom geschlagen. ,,Schöne Zähne...", versuchte er zu schmeicheln. Die Katze hatte drei Reihen messerscharfer Beißer, die aussahen wie von einem Hai. Der Hals war ebenfalls mit Stacheln bestückt. Die "Katze" (oder besser gesagt kleines Monster, was dich sehr leicht verschlucken könnte) antwortete: ,,Oh, danke. Schöner Hoodie.", ,,Ich hatte schon Angst, er passt mir nicht.", ,,Jetzt kannst du beruhigt sein, er passt perfekt." Sie sprang auf seinen Tisch und musterte sein Foto. ,,Du bist Shang_King, nicht wahr?", ,,Und du bist...?", ,,Mein Name ist Angst.", ,,Angst, wie die Angst?", ,,Vielleicht. Das kannst du entscheiden. Du bist mein Erschaffer."