Ein gefährliches Rennen

,,Geht es allen gut? Ist jemand verletzt?", fragte Li jeden, der sich den Kopf rieb. ,,Ihnen geht es gut, aber dem Haus definitiv nicht.", meinte Interru und kratzte sich seine wieder schwarzen Haare am Hinterkopf, dabei rutschte ihm der Hut auf die Nase. Li gluckste: ,,Das bekommen wir wieder hin. Arbeiter! Los, es gibt etwas zu bauen." Shang_Xi 2 knurrte mit verschränkten Armen: ,,Das ist nur das kleinste Problem. Unsere Unsichtbarkeit ist verflogen. Taifun wird uns immer wieder finden können.", ,,Quatsch! Der Kerl findet nicht einmal den Weg zu den Ruinen. Außerdem wollte ich die Mauer eh nicht mehr haben." Als er das sagte, tat er so, als würde er die Fenster zählen (die es eigentlich garnicht gab) ,,Soll das heißen-?! Meister, das ist irre!", ,,Was irre? Ich? Du mit deinem Seeungeheuer bist viel verrückter!!", brüllte er ihm ins Gesicht. Alle schauten sofort auf und rissen verwundert ihre Münder auf. ,,Macht weiter. Lasst euch nicht ablenken.", sagte der alte Pandai, aber sein Blick blieb steinhart. ,,Die Mauer bleibt weg! Basta.", ,,Großvater, a-aber-", ,,Nichts aber! Macht euren Kram." Dokitura übernahm das Wort: ,,Wir helfen, alles wieder aufzubauen und dann müssen wir leider weiterziehen." Das Fell von Li sträubte sich und er drehte sich zu ihnen um. ,,Jetzt schon? Aber es fing gerade erst an.", ,,Was genau?", ,,Unsere Gemeinschaft. Unser Miteinander. Familie, versteht ihr?", ,,Ja, aber wir müssen diese Reise beenden. Wir sind doch so nah dran.", ,,Mag sein, doch wollt ihr nicht etwas länger bleiben." Er blickte auf seinen jüngeren Enkel und sprach: ,,Ich habe etwas Besonderes in deinen Händen gesehen. Einen Edelstein.", ,,Ja, hier." Shang gab ihn ihm in die Tatzen. ,,Woho. Der Edelstein hat seinen Besitzer wieder gefunden." Shang_Xi 2 sandte ihm einen verwirrten und wütenden Blick. Li schaute drohend zurück und er hielt lieber die Klappe. ,,Woher hast du ihn, Kleiner? Entschuldigung, Großer. Natürlich Großer.", ,,Hat mir Onkel Morgal gegeben.", ,,Mein Sohn hat ihn also gehabt. Wie erfreulich." Er nahm den Stein an sich und bedankte sich kurz bei seinen Enkeln.

Kurz bevor die Sonne unterging, trafen sie sich wieder am Lagerfeuer. ,,Was wollen wir als nächstes tun?", fragte Dokitura die Runde besorgt. ,,Am besten alles packen und noch heute abend abhauen.", schlug Donnerhau knurrend vor, ,,Mir gefällt dieser Ort nicht. Und insbesondere euer Großvater.", ,,Du hast wohl vergessen, dass wenn wie zu den Sümpfen wollen, wir den großen Fluss überqueren müssen. Und ich glaube, das wird nicht jeder von uns überleben.", ,Wir leihen uns einfach paar von diesen Vögeln.", ,,Die heißen Amphiteren.", ,,Wie auch immer die heißen." Interru schaltete sich ein: ,,Li würde uns nur welche geben, wenn wir beim Wiederaufbau helfen.", ,,Da hat er recht.", bejate es sein Kumpel Doki. Wolkov brummte in seinem russischen Akzent: ,,Es hat etwas mit Treue und Freundschaft zu tun, ihnen zu helfen. Li ist mein Freund und eurer Deduschka, also solltet ihr etwas für ihn tuen.", (Fakt: Deduschka ist das einzige Wort, was er auf russisch sagt und bedeutet: Opa, Großvater) ,,Ja. Li hat so viel für uns getan. Und ihr denkt nur für den Nutzen." Donnerhau und Doki senkten beschämt den Kopf vor Elvinaria. Den Rest des Abends hörte man nur das Knistern des Feuers (damit meine ich nicht das Feuer im Haus, sondern das Legerfeuer) und das Schleifen der Klauen von dem Werwolf an seinem Eisschwert. Als der Mond aufging, bemerkte Shang eine kleine, versteckte Gestalt im Schatten der Hauswände. Das Licht ließ den Schatten flackern und der Rauch verdeckte den Mond, aber trotzdem konnte er sie sehen und folgte ihr unbemerkt. Sie hastete über den seichten Fluss, umging die Insel und kletterte auf den steinigen Hügel im Westen. Wladimir bemerkte Shangs Abwesenheit und erschnüffelte seine Spur. Wenn er ging, ging auch Interru, und wenn er ging, dann auch Elvinaria. 

Als sie auf dem höchsten Punkt angekommen sind, setzte sich die Gestalt hin und setzte ihre Kapuze ab. Der braune Mantel war im Mondlicht in ein glattes Silber verwandelt worden und schien zu leuchten. Aber der Halbpandai sah die bekannten grünen Gucker von Bo Hua. ,,Bo?" Sie erschrak und schlug mit einem Bambusstab auf seinen Kopf. ,,Aua!" Wie aus dem Nichts sprang Wolkov raus und stürtzte sich auf sie. Sie kreischte und ihre Augen weiteten sich. ,,Bo?" Sofort rappelte er sich auf und half ihr hoch. , ,,Erzählt das bitte nicht Li! Und es tut mir unendlich leid, Shang. Das wollte ich nicht, ich dachte... du... wärst der... andere Shang und der ist sehr streng wenn es um Sicherheit geht.", ,,Aber wieso bist du mitten in der Nacht hier?", ,,Ich beobachte den Amphiterenzug.", ,,Was ist das?", fragte Shang und sein Schmerz am Kopf war automatisch vergessen, ,,Im Buch stand nichts davon.", ,,Ja, weil es noch niemand gesehen hat, ich aber schon. Nachts fliegen sie in einer Gruppe gleichmäßig über den Wald. Sie sind dabei unendlich leise, deswegen hat das noch niemand bemerkt." Sie blickte sich um und zog Shang am Arm. Hinter dem Hügel verlief der Fluss und Bäume wucherten ihnen die Sicht voll, aber man konnte noch das laute Rauschen hören. Das Rauschen des strömenden Wassers. Plötzlich glänzten zwei Flügel im Mondlicht, dann noch zwei, und viele weitere Flügelpaare. Sie reihten sich wie in ein Dreieck ein und gleiteten über dem Fluss wie Phantome. Kein einziges Geräusch, selbst Wolkov hörte nichts. Faszinierend. ,,Das ist ja voll cool! Wie hast du herausgefunden, dass sie das machen?" Bo grinste: ,,Nachts schleiche ich raus um eine Brücke zur anderen Seite zu bauen.", ,,Ist die andere Seite nicht der Sumpf?", ,,Ja. Ich weiß, dass er gefährlich ist, aber ich kann hier nicht bleiben. Es ist so eingeengt und die Ernte fällt immer häufiger aus. Ich sehe schon, dass wir gehen müssen. Schon bald und wir haben kein Essen mehr." Sie senkte traurig den pelzigen Kopf. ,,Und Amphiteren? Leiht dir Li keine aus?", ,,Um Drachens Willen. Er würde niemals zulassen, dass wir diesen Ort verlassen, obwohl Shang (2) ihm das schon oft gesagt hat, dass ein Seemonster im Fluss weiht und unsere Ernte zerstört. Jetzt ist die Mauer kaputt. Ein doppelter Grund, um abzuhauen, aber ihr seht, was Li macht." Wo sie recht hat, hat sie recht. ,,Hm. Also Seeschlange... Das klingt komisch. Vielleicht nur erfunden."

Am nächsten Morgen standen sie wieder in ihren Betten auf und flitzten zum Platz, wo der alte Pandai etwas vorlas. ,,(...) Und jetzt, da die Mauer gefallen ist, werden wir die Rennen wieder eröffnen. So lautet mein Befehl: Entzündet das Feuer!" In einer Schüssel wurde ein Feuer entfacht und alle staunten über die Kraft, die es ausstrahlte. ,,Shang_Xi.", rief Shang 1 zu Shang 2, ,,Was ist denn hier los?", ,,Dein Großvater ist völlig übergeschnappt. Er will die gefährlichen Amphiterenrennen wieder eröffnen.", ,,Und das heißt?", ,,Viele Verletzte wenn nicht gar Tote."

Es dauerte nur wenige Sekunden und ein ohrenbetäubendes Jubeln stieg auf. Alle zogen sich ihre Helme auf und holten ihre (verstuabten) Amphiteren aus den Ställen. Han war auch unter ihnen und sein bester Freund Baihu. Komischerweise waren es nur Männer, keine Frauen. ,,Dürfen keine Frauen antreten?", ,,Nach Lis Regeln nicht.", ,,Das ist unfair. Vielleicht sind sie auch fähig.", ,,Das war nicht meine Entscheidung.", knurrte Shang 2, ,,Deine Mutter war fähig, aber ihr Vater hat es nicht akzeptiert.", ,,Du kannest unsere Mutter ziemlich gut." Shang 2 grinste nur, verschränkte die Arme und prustete.

Li rannte mit dem Stab in den Händen zu ihnen und rief: ,,hey Shang, willst du auch mal fliegen?", ,,Ja, aber in keinem Rennen.", ,,Komm schon, Han erwartet ein Rennen gegen dich. Freundschaftsrennen natürlich." Er stupste ihn mit seinen Stab an und rief seine Amphitere zu ihnen. ,,Nein, Meister.", fauchte sein Stellvertreter, ,,Er nimmt Nero. Er ist viel verlässiger als ihre Amphitere.", ,,Wenn du darauf bestehst." Der blaue Nero näherte sich ihnen und Shang_Xi 2 half dem jüngeren Bruder von Doki auf seinen Rücken. ,,Weiß Doki etwas davon? Oh, er wird mich umbringen.", ,,Nein wird er nicht.", ,,Aber sowas von", sprachen beide gleichzeitig. ,,Bist du schonmal gallopiert?", ,,Nein.", ,,Das ist schlecht. Sehr schlecht. Oh man. Aber Nero wird dafür sorgen, dass dir nichts passiert, er verspricht es dir. Nicht wahr, Kumpel?" Nero klapperte mit seinem Schnabel und nickte. Li schnaubte: ,,Genug der Zärtlichkeiten, tret endlich an!"

Shang 2 lenkte seinen Riesenvogel an die Startlinie, wo schon mindestens zehn Reiter anstanden. ,,Ah, wen sehe ich da. Der berühmte Enkel.", lachte Han und Baihu grinste, ,,Wieso trittst du an? Nicht um etwa jemanden zu beeindrucken.", ,,Wie du?", ,,Jap. Pari wird sehen, wie großartig ich doch bin.", ,,Träum weiter.", ,,Willst du Streit?", ,,Vielleicht.", ,,Kannst du haben."

Mit nach vorne gerichteten Blick und angespannten Beinen warteten sie auf den Startschuss eines Feuerwerks. Plötzlich stürtzte Bo auf den Platz: ,,Shang, was machst du da?! Bist du lebensmüde?!", ,,Keine Ahnung.", ,,Du musst niemanden etwas beweisen! Geh von da weg!" Li stellte sich vor sie und fieberte mit. Dann kam der Startschuss.

Wie auf Kommando schossen die Amphiteren in den Himmel. Außer Nero. ,,Wie steuer ich ihn?", fragte sich Shang nervös. Li half kurz und trat dem Tier auf den langen Schwanz. Nero (völlig erschrocken und irritiert) flog sofort den anderen hinterher. Shang klammerte sich mit geschlossenen Augen um seinen Hals. (Sie waren nur zwei Meter über dem Boden. Trotzdem wirkte es sehr hoch.) 

Die Menge bogen scharf nach links in eine schmale Gasse rein. Ein Reiter auf einer roten Amphitere wurde dabei umgestoßen und stieß sich schmerzhaft gegen die Wand. Um ihm auszuweichen, flog Nero über ihn und die Dächer. Han schrie: ,,Wo bleibst du Versager? Ich sehe dich nicht." Da machte der das blaue Federfieh einen Sturzflug in die Gasse und überholte Han's gelbe Amphitere. ,,Argh." Eigentlich müsste am Ende der Gasse die Mauer stehen, aber die war abgerissen, also flogen sie einfach zwischen den hohen Bambus-pflanzen hindurch. Sie wuchsen dichter als der Seetang am Grund des Meeres und das will etwas heißen. Die ersten fielen von ihren Reittieren schon beim Anfang, drei in der Mitte. Jeder Bambusast war so nah an ihm, dass er hörte, wie er knartzte. Als sie an ihm vorbei-zischten, pfiff jeder Stamm in seinen runden Ohren und verpasste einen kleinen Windstoß ins Gesicht. Rechts, links, rechts, rechts, links, hoch, runter, hoch, hoch, höher, steil runter. Er wusste nicht mehr, wo oben und unten war. Er hätte sich übergeben, wenn er nicht bemerkt hätte, dass jemand auf der Amphitere vor ihm saß, der kein Pandai war. Definitiv kein Pandai. Er stieß Nero in die Seiten und flog etwas schneller an der Gestalt und dem roten Riesnvogel vorbei. ,,Hallo. Ich habe dich noch nie gesehen und ich glaube, dass ich dich jetzt überholen werde." Da drehte ihm dieser Jemand sein Gesicht zu ihm um und er rutschte dem Tier beinahe vom Rücken.