Ein nicht fremder Fremder

Sie starrten sich so lange an bis Shang die Stille mit einem Gähnen durchbrach. Dokituras Auge zuckte und er fragte herausfordernd: ,,Was treibt dich zurück? Willst du mich wieder deinen Freunden ausliefern oder wieder mein Geld klauen?", ,,Nein, nichts dergleichen.", ,,Was dann?", ,,Nicht gleich so giftig. Früher hättest du mich auf ein gemeinsames Essen eingeladen.", ,,Früher." Totenstille. ,,Ach komm schon! Ich bin wieder back. Mit Neuigkeiten. Mit schlechten Neuigkeiten. Ich erkläre mehr, wenn du mich in unser Haus lässt.", ,,Es ist nicht mehr unser Haus! Aber okay, wenn du Neuigkeiten hast... Ich habe dich im Auge." Shang schaute schnell zwischen dem Fremden und seinem Bruder hin und her. Interru, der Neue, war offensichtlich ein schwarzer Reiter. Vielleicht auch der, den er gesehen hatte. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Was, wenn er sie alle im Schlaf ermorden würde? Doch er versicherte sich selber, dass Doki das niemals zulassen würde. Sie machten kehrt und trabten zurück. ,,Ein Wüstenpferd nehme ich an.", sagte Shang mit hoch erhobener Nase. Er wollte nicht eingeschüchtert wirken. ,,Tatsächlich. Warst du schon da?", ,,Nein, aber ich habe darüber gelesen.", ,,Du bist ja einer. Ich heiße Interru und das ist mein treuer Freund Schattenherz." Er klopfte dem Pferd auf die Schulter. Dokitura schnauzte von vorne:,,Ich dachte Miguel war dein treuer Freund.", ,,Er ist leider bei einem Feuer ums Leben gekommen.", erklärte Interru betrübt, ,,Verfolgungsjagd. Bin gerade so entkommen. War an der südlichen Grenze von Trìdas. Seit fünf Jahren ist die Gegend dort nicht mehr sicher. Keine Ahnung, was da los ist... Ich kannte viele Freunde dort. Alle weg.” Die Pferde schnaubten bei jedem Schritt. ,,Ich bin übrigens Shang. Shang_Xi. Und das ist mein Pferd Weißfleck.", ,,Sehr erfreut.", ,,Wo warst du schon überall?", ,,Eigentlich schon überall. Bin über Klippen gestürtzt, über Felder gallopiert., über den Ozean geschwommen und habe in den größten Wäldern nach Gold gesucht." Shang schmunzelte. ,,Freut mich, dich kennenzulernen.", ,,Ganz chillig, wie du mit einem schwarzen Reiter umgehst. Nicht so wie andere." Er glättete seine pechschwarzen Haare und richtete seinen Hut. Shang verlor augenblicklich seine Furcht. Interru wirkte sehr symphatisch. Wahrscheinlich hatte er noch viel mehr über seine Reisen zu erzählen.,,Ich nenne dich ab heute Der Mann Mit Dem Hut.", ,,Ziemlich lang, aber klar. Why not?" Als sie bei der Farm ankamen, öffnete Interru höflicherweise die Tür. ,,Pieksi, setze das Wasser auf!", ,,Interru?", ,,Lass dich umarmen!" Er umarmte sie kurz und zuckte augenblicklich zurück. ,,Ich habe den Fluch vollkommen vergessen.”, brummte er und zog eine Grimasse. Nachdem sie den letzten Stachel aus der Hand gezogen haben, setzten sie sich alle zum Tisch. ,,Danke für eure Gastfreundschaft." Er bemerkte die sehr genervten und gelangweilten Gesichter von Dokitura und Pieksi. Er räusperte sich und sprach weiter: ,,Ich war nun sehr lange nicht mehr hier. Wollte die Welt sehen und habe sogar ein Tagebuch geführt über die Vielfalt dieser Welt." Shang riss ihm das Büchlein aus den Händen und begann zu lesen. ,,Auf jeden Fall bin ich auf etwas gestoßen. Ich glaube, es wird ziemlich gefährlich für uns alle.", ,,Spuck’s schon aus!", fauchte Dokitura. Shang war überrascht von der finsteren seite seines doch so liebevollen Bruders. Etwas musste zwischen den beiden vorgefallen sein. Pieksi strich vorsichtig über Dokis Arm und er beruhigte sich etwas. ,,Nun... Ich war im Fichtenwald, stellte mein Zelt auf, machte Feuer und so, ging jagen. Plötzlich fängt Schattenherz an zu wiehern. Ich dachte, da wäre ein Phantom, aber da war was anderes." Interru stand auf und schaute angespannt aus dem Fenster. ,,Ein lebendiges Skelett schoss mich mit Pfeilen ab. Verletzt musste ich fliehen.” Er zeigte ihnen eine Stichnarbe an der Schulter. ,,Am Morgen kehrte ich zurück, aber da waren nur noch verkohlte Überreste übrig. Aber davon nicht genug! Auf dem Weg zu einer Stadt begegnete ich grünen Kreaturen, wie Halbtote. Sie griffen mich an und ich rannte davon. Die letzten drei Tage beobachtete ich, wie sie sich nachts immer mehr über alle Länderein verbreiten. Zombies, Skelette.", ,,Wie in Büchern?", ,,So ungefähr. Kommt drauf an, welche. Zombies sind sehr langsam, haben aber einen starken Geruchsinn, den sie geschickt einsetzten. Skelette können mit Pfeil und Bogen umgehen, sind aber miserable Schützen.", ,,Was geht das uns an?! Das ist doch ewig weit weg.", bellte Doki. ,,Deswegen bin ich hier." Er setzte seinen Hut ab und seine stacheligen Haare schauten hervor. ,,Es waren nur zehn Meilen von hier.", ,,Was?! Wieso sagst du das nicht gleich?" Er sprang auf und wirbelte im Zimmer herum. ,,Wie lange haben wir Zeit bis sie da sind?", ,,Höchstens bis morgen Abend. Und glaubt mir, wenn ich sage, dass sie große Schäden anrichten können.", ,,Was können wir tun?", fiepste Pieksi beinahe verzweifelt. ,,Einmauern und bewaffnen." Doki schnaubte: ,,Sagst du auch die Wahrheit?", ,,Ich schwöre, Doki!", ,,Nenn mich nie wieder Doki! Und du hast mir schon oft geschworen." Sie wechselten vielsagende Blicke, aber schließlich erklärte der Farmer: ,,Shang, Bruderherz, auf dem Spitzboden ist eine Bibliothek. Suche etwas über Untote.", ,,Lesen! JAaAaA!" Da war er weg. ,,Pieksi, bau eine Mauer, soviel du schaffst. Mach dir keinen Stress.", ,,Mach ich nie, Schatz.", ,,Und du Interru, wir brauchen jemanden um Eisen zu schmelzen." Shang_Xi durchkämmte die Bücherregale wie ein Profi. Als er nichts unter "Zo" fand, suchte er nach "Untote Kreaturen".Als er ein Buch fand und es im Fackelschein las, fand er wortwörtlich... Nichts. Er fand nichts. Die Informationen waren verschwommen, undeutlich und nicht vollständig. Egal wer das geschrieben hatte, hat sich keine Mühe gegeben. Noch schlimmer als die zerknitterten Aufgabenblätter seiner Klassenkameraden, die er ausfüllen musste. ,,Und?" Dokitura kam verschwitzt und ohne Hemd ins Zimmer.Genauso erschöpft auch Interru mit drei nigelnagelneuen Eisenschwertern. ,,Während die Jungs Bücher gelesen haben und Schwerter schmiedeten,", erzählte der Kaktus, ,,Habe ich eine ganze Mauer um die Koppel und das Haus gebaut, ein Redstonewarnsystem installiert, das Getier in einen Stall gebracht, einen Weg gegraben und Kuchen gebacken. Wer will ein Stück?"Die Drei wechselten einen Blick und griffen zu. ,,Wie konntest du so vieles schaffen?", fragte Doki erstaunt. ,,Einfach so.", antwortete sie und steckte ihm ein Stück Kuchen in den Mund. Interru rollte mit den Augen und zog sich ein Hemd über. ,,Also...Ich habe keine Informationen gefunden. Aber ein Bild, was zu deiner Beschreibung passt. Doch der Text ist entweder ohne Ahnung geschrieben, einfach draufgekleckert oder-", ,,Verschlüsselt." Interru blätterte jedes Blatt genau um bis Doki sagte:,,Schluss mit den Spielchen. Es ist Schlafenszeit.",,Gut. Morgen dann. Welches Bett bekomme ich?", ,,Deinen Schlafsack draußen.", pfauchte der Farmer und zeigte auf die Tür. Der Hutmann grinste höhnisch, aber Dokitura hielt seinem Blick stand. ,,Wie ihr wünscht, Majestät." Er verließ das Haus und stellte sein Zelt auf. Der Panda und der Kaktus sahen aus dem Fenster und verspürten ein schlechtes Gewissen, besonders als es anfing wie aus Eimern zu gießen. Es donnerte und regnete nur noch mehr. Der Wind sauste umher und riss kleine Blumen aus dem Boden. Das Wasser überschwemmte und weichte den Boden auf. Doki lag seelenruhig im Bett und ignorierte die Tatsache, dass Der Mann Mit Dem Hut sich gerade tot fror. Shang hielt das nicht länger aus und holte ihn schnell rein. Patschnass und keuchend kamen sie im Trockenen an. Dokitura zuckte nicht mit der Wimper. ,,Meine Aufgabe ist es dich zu beschützen Shang! Und du hilfst diesem... Verräter ins Haus." Pieksi rief:,,Doki, ich will nicht zusehen, wie er draußen aufweicht.” Dokitura fuhr sich mit ein paar schnellen Bewegungen durch die verschwitzten, zersträubten Haare und knurrte stotternd: ,, Ausnahmsweise. Nur diese Nacht."Sie legten sich nun alle entspannt schlafen. Shang aber konnte nicht schlafen und wartete bis der Uhrzeiger nach Mitternacht stand, dann schlich er sich raus und zu Interru auf die zweite Etage.,,Hey, Mann Mit Dem Hut. Ich bin’s Shang_Xi. Du hast gestern gesagt, dass wir heute den Text entschlüsseln werden." Interru rieb sich die Augen und begann zu rätseln. ,,Sie sind nicht da, wenn wir wach sind, können aber sich nicht verstecken.", ,,Was soll das nur heißen?" Shang sammelte seine Gedanken. Die Kerze auf dem Nachttischchen brannte langsam runter, der letzte Regen tröpfelte leise gegen die dünnen Fensterglasscheiben. Irgendwo hörte man einen Wolf heulen und in meilenweiter Entfernung einen Drachen brüllen. Ein grollendes Brüllen, welches den Boden erschütterte. Was, wenn der Drache käme? Interru antwortete einfach: ,,Sie sind nachtaktiv und vielleicht aggressiv und laut, dass wir sie sofort bemerken." Sie schrieben die herausgefilterten Infos auf ein Blatt. Am Ende kam raus: nachtaktive Wesen, die im Sonnenlicht verbrennen, sich in Schatten verstecken können, Schildkröteneier zertreten, sich Sachen anziehen können und... etwas langsam und dumm sind, aber in einer Gruppe zusammenhalten. Also doch gute Informationen. Stolz fuchtelte Interru mit dem Papier in der Gegend herum. Es regnete immer weniger und als die ersten Sonnenstrahlen auftauchten war das Wetter wieder familyfriendly.Aber die gute Laune hielt nicht lange an. Als Dokitura aufstand, schrie er wie verrückt auf Interru, weil er sich von seinem Bruder fernhalten soll. Es war wie ein morgentlicher Donnerschlag. Entsetzt sprang der schwarze Reiter auf und verteidigte sich gegenüber den Anschuldigungen. Shang wollte das ganze Theater nicht anhören und ging mit Pieksi in die Schmiede. Solange sie das Eisen einschmolz, saß er auf einer Stufe und las in Interrus Tagebuch, wo er sehr oft eine geheimnisvolle Reise aus vergangenen Zeiten erwähnte. Und auch Dokitura erwähnte er. Als Freund.,,Was ist denn nur zwischen ihnen geschehen?", fragte er leise. Pieksi hörte das und fing an zu erzählen, sie wären beste Freunde gewesen. Sie erforschten die weiten Welten auf der Suche nach Abenteuern. Irgendwann fanden sie diesen Strand und bauten dieses Haus. In einem Dorf erfuhren sie, dass sie im Land des Königs Sahai hausten und er der letzte seiner Monarchie war. So wollten sie aus Neugier einen neuen König finden. Dafür mussten sie in die Sümpfe von Noràli, wo der Erwähler einen erwählt.Auf dem Weg dorthin begegneten sie einer Gruppe schwarzer Reiter. Nur mit Glück konnten sie weiter, aber Interru war so fasziniert von ihren magischen Kräften, dass er sich ihnen anschloss, ohne Dokitura etwas davon zu erzählen. Als sie eine Karte fanden, sagte der Boss der Reiter, er solle Doki sie wegnehmen. Er stahl sie und verschwand, ließ seinen besten Freund bei den schwarzen Reitern zurück. Nachdem er gecheckt hat, was abging, ist er schnell weggeritten bevor die Reiter Hackfleisch aus ihm gemacht hätten. Sie fanden nie den Weg zu Noràli und zu ihrer Freundschaft. Eines Tages kehrte Interru zurück, wollte aber nur Geld von Doki klauen. So wurde ihre Bindung immer schwächer bis er für Jahre weg war bis jetzt.,,Nun sind sie ewige Feinde." Sie wandte sich wieder dem Ofen zu. ,,Wer weiß, was sie wieder versöhnt.", ,,Ist doch ganz klar." Shang blinzelte und zuckte mit seinen schwarzen Ohren. ,,Was denn?", ,,Eine Reise nach Noràli. und diesmal werden wir es schaffen."